Wie gelingt der Familienalltag nach einer Trennung?

Nadine Hoch
  |  06. Dezember 2022
    Forschung und Statistik
  • Familie
  • Kinder
Wer begleitet das Kind? Der Alltag von getrennt lebenden Familien birgt viele Herausforderungen. (Keystone)

Eine repräsentative Befragung von getrennt lebenden Familien in der Schweiz hat deren Lebensbedingungen und Alltag untersucht. Unter anderem zeigen die Ergebnisse: Eltern sind auf verlässliche und bezahlbare Betreuungsangebote angewiesen.

Auf einen Blick

  • Nach einer Trennung bricht der Kontakt zwischen einer Mehrheit der Eltern untereinander sowie zwischen den Eltern und Kindern nicht ab, wie eine Studie zuhanden der Eidgenössischen Kommission für Familienfragen (EKFF) zeigt.
  • Für das Kindeswohl ist die Beziehungsqualität und die Konfliktfähigkeit der Eltern entscheidend.
  • Die EKFF hat aus der Studie neun Empfehlungen zuhanden von Fachpersonen und Politik abgeleitet.

Trennungen und Scheidungen sind emotional belastend und können das Kindeswohl beeinträchtigen. Hinzu kommen allfällige finanzielle Schwierigkeiten, steuerliche Benachteiligungen und bürokratische Hürden.

Das Marie Meierhofer Institut für das Kind (MMI), das Büro für arbeits- und sozialpolitische Studien BASS und Andrea Büchler vom Rechtswissenschaftlichen Institut der Universität Zürich, haben zuhanden der Eidgenössischen Kommission für Familienfragen (EKFF) untersucht, mit welchen Schwierigkeiten Familien konfrontiert sind, die in verschiedenen Haushalten leben (Stutz et al. 2022). Zudem zeigt die Studie Lücken im gesetzlichen und administrativen Rahmen auf.

Herzstück der Studie bilden Antworten von 2868 getrennt lebenden Vätern und Müttern und 244 betroffenen Kindern und Jugendlichen einer Online-Befragung im Jahr 2021 sowie 20 Familienfallstudien in den Jahren 2020 und 2021.

Die beobachteten Familienarrangements sind dabei äusserst vielfältig – beispielsweise übernachten 72 Prozent der Kinder unter 18 Jahren mindestens alle zwei Wochen einmal beim anderen Elternteil. Doch nur bei 7 Prozent der Kinder sind die Wohnanteile bei beiden Eltern etwa gleich gross. 19 Prozent der Kinder verbringen im Alltag (ohne Ferien) mindestens einen Drittel der Nächte bei beiden Eltern. 46 Prozent der Eltern geben an, dass die Kinder mehr als zwei Drittel, aber nicht alle Nächte, bei der Mutter sind. Insgesamt 6 Prozent der Kinder sehen den anderen Elternteil weniger als alle drei Monate oder nie.

Neue Partnerschaften

Die meisten der befragten Eltern, insbesondere die Väter, leben in einer neuen Beziehung. Ein Drittel der Mütter teilt die Wohnung mit dem neuen Partner; rund ein Fünftel lebt in separaten Wohnungen. Von den Vätern leben knapp 40 Prozent mit der neuen Partnerin zusammen und ein Drittel in separaten Wohnungen. Gemäss den Befragten haben neue Partnerschaften keinen Einfluss auf die Häufigkeit von Familienarrangements, bei denen die Kinder bei beiden Eltern wohnen.

Lebt ein Kind zeitweise bei beiden Eltern, so ist die Aufteilung der alltäglichen Betreuungsverantwortung (ohne Ferien) abhängig vom Wohnanteil. Ist das Kind mindestens zwei Drittel der Nächte bei der Mutter, konzentriert sich die Zuständigkeit der Väter auf das Wochenende und unter der Woche auf den Freitag. Die Mütter fühlen sich allerdings auch in dieser Zeit in die Betreuung miteingebunden, weil die Väter diese Tage nicht jede Woche übernehmen oder weil sie nicht den ganzen Tag abdecken. Lebt ein Kind zu mindestens einem Drittel bei beiden Eltern, übernehmen die Väter hingegen häufiger auch unter der Woche Betreuungsverantwortung – meist am Morgen oder Abend. Auch Grosseltern oder Partner und Partnerinnen sind häufig in die Betreuung involviert.

In den Ferien übernimmt die Hälfte der Väter und ein Viertel der Mütter mehr Betreuungszeit. Die Eltern teilen sich also die Betreuungszeiten, die aufgrund der wegbleibenden Schul- oder Tagesbetreuungszeiten anfallen.

Väter sind unzufriedener

Die Zufriedenheit der Eltern ist hoch, wenn das Kind alle 14 Tage oder häufiger in ihrem eigenen Haushalt wohnt. In diesem Fall äussern sich 80 Prozent der Befragten eher oder sehr zufrieden mit der Aufteilung des Wohn- und Betreuungsanteils. Lebt das Kind hingegen selten oder nie im eigenen Haushalt, sinkt dieser Anteil massiv.

Über alle Familienarrangements hinweg äussern sich die Väter unzufriedener als die Mütter: Nur zwei Drittel der Väter bezeichnen die praktizierte Aufteilung von Wohnen und Betreuung als «ideal». Bei den Müttern sind es drei Viertel. Insbesondere Väter, deren Kinder nie oder nur selten im eigenen Haushalt leben, wünschen sich häufig eine egalitäre Aufteilung von Wohnen und Betreuung. Auch Mütter, die die Aufteilung verändern möchten, wünschen sich häufig, dass der Vater öfter für das Kind zuständig ist.

Kooperation fördert Kindeswohl

Das Wohlbefinden der Kinder, die zwischen den Haushalten ihrer Eltern hin- und herpendeln, ist generell nicht schlechter oder besser als im schweizerischen Durchschnitt. Insbesondere hängt es nicht von den genauen Betreuungsanteilen ab, wie die Befragung zeigt. Der einzige Einflussfaktor mit nachweislich positiver Wirkung auf das Befinden der Kinder ist eine gute Beziehungsqualität zwischen den Eltern.

Auffallend ist, dass sowohl die Eltern als auch die Gerichte und die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden (Kesb) die Kinder nur selten einbeziehen, wenn es um ihr Wohn- und Betreuungsarrangement geht.

Knappe Finanzen

In knapp 80 Prozent der Fälle werden Unterhaltsbeiträge geleistet – allerdings sind zahlreiche Eltern mit der finanziellen Regelung unzufrieden. Am meisten mit finanziellen Problemen kämpfen Eltern mit ungleichen Wohn- und Betreuungsarrangements: Ein Drittel von ihnen beklagt sich über knappe finanzielle Mittel. Dies deutet darauf hin, dass sich nicht alle Eltern ein egalitäres Betreuungsmodell mit zwei Familienwohnungen leisten können.

Mütter mit finanziellen Problemen geben dabei häufiger an, Sozialhilfe zu beziehen, und Väter öfter, dass sie ohne Sozialhilfe sehr belastende finanzielle Probleme und Schulden haben. Eine Entlastung besteht, wenn ein neuer Partner oder eine neue Partnerin im Haushalt lebt.

Normative Änderungen nötig

Zusammenfassend zeigt die Studie: Die Kontakte der Kinder und der Austausch zwischen den Eltern sind rege. Die Beziehung der Kinder zum anderen Elternteil bricht nur ausnahmsweise ab, und die Mehrheit der getrennt lebenden Eltern bleibt im Austausch. Die normativen Begrifflichkeiten mit ihrer Zweiteilung in «Besuchsrecht» und «alternierende Obhut» bilden den Alltag von Familien mit getrennten Eltern allerdings nur schlecht ab. Der realen Vielfalt könnte ein umfassenderer Begriff der «Betreuungsverantwortung» besser Rechnung tragen.

In allen Familienarrangements gibt es eine Minderheit unversöhnter und streitbarer Eltern. Wichtig ist deshalb ihre Konfliktfähigkeit. Alles, was die Eltern niederschwellig unterstützt, Lösungen zu finden, liegt im Interesse ihrer Kinder. Zudem sind weitere Anstrengungen nötig, damit Kinder im familialen und behördlichen Kontext so informiert, angehört und einbezogen werden, wie es ihnen zusteht. Denn derzeit sind Kinder am Entscheid zum Familienarrangement oft nicht beteiligt.

Was heisst «alleinerziehend»?

Weiter macht die Studie deutlich: In der Mehrheit der Fälle sind neue Partner oder Partnerinnen involviert. Der Begriff «alleinerziehend» muss somit im Einzelfall hinterfragt werden. Sowohl in der Forschung als auch in der Praxis sollte den neuen Beziehungen mehr Aufmerksamkeit zukommen.

Als wichtig erweisen sich die Alltagstauglichkeit des Familienarrangements und eine lebendige Beziehung beider Eltern zu den Kindern. Es wäre naheliegend, zunächst von einer beidseitigen Betreuungsverantwortung auszugehen und basierend darauf individuelle Lösungen zu suchen. Getrennte Familien sollten nicht in ein starres Modell gezwungen werden. Wichtiger als die Verpackung ist der Inhalt: Ist das Arrangement alltagstauglich? Geht es auch für die Kinder auf? Ist es ans Alter der Kinder oder an die sich verändernden Erwerbsituationen der Eltern anpassbar? Fördert es eine qualitativ gute, lebendige Beziehung der Kinder zu beiden Eltern?

Grundsätzlich sind Väter unzufriedener als Mütter. Das Nachtrennungsarrangement ist oft von der früher gelebten Aufgabenteilung zwischen den Eltern geprägt. Nach einer Trennung kann diese den Kontakt zwischen Vätern und Kindern viel stärker einschränken als während des Zusammenlebens. Wenn Väter deshalb Anpassungen suchen, ist dies zu begrüssen. Gleichzeitig ist zu bedenken, dass einseitige Arbeitsteilungen, zu denen in guten Zeiten beide ja sagen, die Verdienstchancen der Mütter längerfristig durch Erwerbsunterbrüche oder Teilzeitarbeit mit tiefen Pensen beeinträchtigen und jene der Väter erhöhen. Das gilt es in schlechten Zeiten gerechterweise zu berücksichtigen. Zu leisten wären die Aushandlung und Ermöglichung einer geschlechterunabhängigen und egalitären Aufteilung von Erwerbs- und Familienarbeit im Alltag.

Finanzieller Druck

Die schwierige Vereinbarkeit von Familie und Beruf erhöht dabei den finanziellen Druck. Eltern, die nicht zusammenleben, sind besonders darauf angewiesen, substanziell zum Familieneinkommen beitragen zu können. Dazu benötigen sie flächendeckend verlässliche, gute und bezahlbare Betreuungsstrukturen für ihre Kinder.

Zudem verunmöglicht der finanzielle Druck oftmals ausgeglichene Wohn- und Betreuungsarrangements. Familienarrangements, in denen die Kinder zeitweise bei beiden Eltern wohnen, sind in erheblichem Mass eine Frage der finanziellen Ressourcen. Eltern mit tiefen und mittleren Einkommen können sich solche Arrangements meist nicht leisten, auch wenn die vermehrte Betreuungsübernahme durch die Väter Müttern mehr Spielraum im Erwerbsleben gibt. Der Anteil getrennter Eltern mit finanziellen Problemen ist hoch, und die Politik gefordert, nach sinnvolleren und gerechteren Lösungen zu suchen.

Schliesslich erschweren ungünstige Rahmenbedingungen die gemeinsame Elternschaft. Mit dem gemeinsamen Sorgerecht als Regelfall und der Vorschrift, eine alternierende Obhut zu prüfen, wenn ein Elternteil dies verlangt, hat sich das Recht der Tatsache angenähert, dass eine gemeinsame Elternschaft über die Haushaltsgrenzen hinaus gelebt werden kann. Trotzdem sind bestimmte Rahmenbedingungen hinderlich. Dies gilt insbesondere für den offiziellen Wohnsitz der Kinder an nur einem Ort (Art. 23 ZGB) und die daran geknüpften Folgen wie Schulort, Prämienverbilligung oder Zugang zu günstigen Familienwohnungen. Hier besteht gemäss der Studie Reformbedarf. 

Für ein echtes Miteinander

Auf der Grundlage der Studie hat die EKFF neun Empfehlungen an Politik, Verwaltung, Forschung, Gerichte, Kesb und betroffene Fachpersonen erarbeitet (EKFF 2022). Damit will sie einen Beitrag zur Verbesserung der Situation von multilokal lebenden Familien leisten – insbesondere von solchen, die in sozioökonomisch benachteiligten Situationen leben.

Drei Empfehlungen sind auf die Beziehungsqualität ausgerichtet – denn eine gute Beziehungsqualität zwischen den Eltern, die Fähigkeit zum konstruktiven Austausch über kindbezogene Themen und der Einbezug der Kinder bilden gewichtige Einflussfaktoren auf multilokale Familienarrangements:

  • Empfehlung 1: Sicherstellen von qualitativ hochstehenden, niederschwelligen Beratungsangeboten für Eltern vor/in Trennung und Scheidung zur Stärkung der Beziehungsqualität und des kindbezogenen Austausches.
  • Empfehlung 2: Institutionalisieren der interdisziplinären Zusammenarbeit und gesetzliches Anordnen von Mediation und Beratung bei strittigen Fällen.
  • Empfehlung 3: Verbindliches Gewährleisten der Kinderrechte nach Art. 12 der Kinderrechtskonvention auf Meinungsäusserung und Anhörung sowie verbindliches Partizipieren der Kinder.

Für egalitäre Lösungen 

Drei weitere Empfehlungen stellen alltagstaugliche und egalitär ausgerichtete Familienarrangements ins Zentrum, weil diese die Zufriedenheit aller Familienmitglieder begünstigen. Der Weg zu neuen Familienformen – weg von der «monolokalen Normfamilie» (Schlinzig 2021) hin zur Fortsetzungsfamilie – eröffnet Spielraum für neue Sorge- und Erwerbsarrangements. Ein Elternschafts- und Normdiskurs muss in den Familien spätestens jetzt neu geführt werden:

  • Empfehlung 4: Umsetzen von weiteren Massnahmen zur Vergünstigung der familien- und schulergänzenden Betreuungsangebote sowie zur Sicherung des Zugangs aller zu diesen Angeboten – ohne Abbau der Qualität.
  • Empfehlung 5: Erforschen des Themenfelds mit Blick auf die Schweiz und sensibilisieren für Gelingensbedingungen multilokaler Familienarrangements.
  • Empfehlung 6: Intensivieren des gesellschaftlichen Diskurses über Elternschaft und Familie mit Orientierung an einem Diversity-Leitbild.

Rechtsnormen anpassen

Schliesslich richten sich drei Empfehlungen an die Politik: Eine gemeinsame Betreuungsverantwortung erfordert strukturelle Rahmenbedingungen, die es allen Familien ermöglichen, selbstgewählte Erwerbs-, Wohn- und Betreuungsanteile zu definieren. Die heutige Zweiteilung der elterlichen Obhut in alleinige Obhut und persönlichen Verkehr und alternierende oder geteilte Obhut mit elterlichen Betreuungsanteilen, wie im Zivilgesetzbuch festgehalten (Art. 133 Abs. 1 ZGB), ist nicht mehr zeitgemäss:

  • Empfehlung 7: Berücksichtigen der Bedürfnisse multilokal lebender Familien bei der Bemessung von existenzsichernden Leistungen wie Sozialhilfe, Ergänzungsleistungen oder betreibungsrechtlichem Existenzminimum.
  • Empfehlung 8: Ausrichten der Leistungen und Abläufe der öffentlichen Verwaltung, Schulen und privater Institutionen auf die Bedürfnisse von Familien mit multilokalen Arrangements; Eruieren von Benachteiligungen und deren Beseitigung.
  • Empfehlung 9: Überarbeiten der rechtlichen Grundlagen (Gesetze, Verordnungen) nach dem Grundsatz der gemeinsamen Betreuungsverantwortung.

Nach Ansicht der EKFF sind im Familienrecht Reformen nötig: Ein zeitgemässes Familienrecht soll nicht auf dem Status «Ehe», sondern zivilstandsunabhängig aufgebaut sein. Statt von «alternierender Obhut» und «Besuchsrecht» sollte das Recht von Betreuungsverantwortung sprechen. Die Betreuungsverantwortung soll auch durch neue Partnerinnen und Partner in Patchworkfamilien wahrgenommen werden können. Klar scheint: Das Wohlbefinden der Kinder muss stets oberste Priorität haben.

Literaturverzeichnis

EKFF (2022). Elternschaft und Kinderalltag in multilokalen Familienarrangements. Empfehlungen an die verschiedenen Akteurinnen und Akteure auf nationaler, kantonaler und kommunaler Ebene.

Schlinzig, Tino (2020). Zwischen Anlehnung, Zurückweisung und Selbstbehauptung. Positionierungen multilokaler Nachtrennungsfamilien zum Leitbild der «Normalfamilie». In: Schondelmayer, Anne-Christin; Riegel, Christine; Fitz-Klausner, Sebastian (Hrsg.). Familie und Normalität: Diskurse, Praxen und Aushandlungsprozesse. Opladen: Verlag Barbara Budrich. 189–205.

Stutz, Heidi; Simoni, Heidi; Büchler, Andrea; Bischof, Severin; Degen, Muriel; Heusser, Caroline und Guggenbühl, Tanja (2022). Wenn die Eltern nicht zusammenwohnen – Elternschaft und Kinderalltag, Forschungsbericht zu Handen der EKFF, Büro für arbeits- und sozialpolitische Studien BASS, Marie Meienhofer Institut für das Kind.

Geschäftsleiterin, Eidgenössische Kommission für Familienfragen (EKFF)
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