Wahrnehmung der IV und ihrer Instrumente: Ergebnisse einer Arbeitgeberbefragung 2021

Michael Buess, Raphael Vogel
  |  21. Februar 2022
    Forschung und Statistik
  • Invalidenversicherung

Mittels Arbeitgeberbefragungen wird seit 2008 die Wahrnehmung der Invalidenversicherung (IV) und ihrer Instrumente untersucht. Die neusten Daten der Arbeitgeberbefragung 2021 zeigen, dass die IV grundsätzlich positiv wahrgenommen wird, ihre Instrumente und Leistungen vielen Arbeitgebenden aber nur wenig oder gar nicht bekannt sind.

Auf einen Blick

  • Die IV führt regelmässige Befragungen von Unternehmen durch, zuletzt 2021.
  • Gefragt wird unter anderem, wie die IV und ihre Instrumente von den Unternehmen wahrgenommen werden.
  • Die IV wird positiv wahrgenommen, ihre Aufgaben, Leistungen und Instrumente sind jedoch wenig bekannt.

Nur wenige Unternehmen haben Mitarbeitende weiterbeschäftigt, wenn diese nach Krankheit oder Unfall nicht mehr im gleichen Umfang oder Bereich weiterarbeiten konnten. Bereits 2008, 2010, 2012 und 2014 führte das Institut DemoSCOPE im Auftrag des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV) Arbeitgeberbefragungen durch. Ab 2012 wurde auch untersucht, wie die IV und ihrer Instrumente durch die Arbeitgebenden in der Schweiz wahrgenommen werden. Diese früheren Befragungen wurden jeweils als rein telefonische Erhebungen (CATI) konzipiert und ausgeführt. Im Sommer 2021 führte DemoSCOPE erneut eine Befragung für das BSV durch. Eine weitere Befragung ist für 2025 geplant. Diese Untersuchungen sollen insbesondere folgende Hauptziele erfüllen:

  • Monitoring zur Entwicklung der Wahrnehmung der IV durch die Unternehmen sowie zur Entwicklung der Kontakte zwischen den Arbeitgebenden und den IV-Stellen vor und nach der Umsetzung der Weiterentwicklung der IV, die am 1. Januar 2022 in Kraft getreten ist.
  • Vertiefte Analyse der Kontakte zwischen den Arbeitgebenden und den IV-Stellen durch entsprechende neue Fragen im Fragebogen.
  • Analyse, wie sich die Wahrnehmungen über einen längeren Zeitraum entwickelt haben durch den Vergleich einiger Schlüsselfragen, die seit den früheren Befragungen unverändert oder zumindest vergleichbar gestellt wurden.

Methodisch wurde entschieden, die Befragungen ab 2021 nicht mehr als reine Telefonbefragungen durchzuführen, sondern auf einen zeitgemässen Mixed-Mode Ansatz (CAWI/CATI) zu setzen. Dieser methodische Wechsel erlaubt indes weiterhin Vergleiche mit den früheren Befragungen.

Die auf Basis einer geschichteten Stichprobe aus dem Betriebs- und Unternehmensregister (BUR) des Bundesamtes für Statistik (BFS) postalisch eingeladenen Unternehmen konnten selber wählen, ob sie den Fragebogen lieber eigenständig online ausfüllen oder ob sie die Fragen lieber geführt am Telefon beantworten wollten. Innerhalb des Befragungszeitraums (29. Juni–15. August 2021) nahmen 2’300 Arbeitgebende erfolgreich an der Befragung teil, was einer relativ hohen Rücklaufquote von 45,4 % entspricht. Die erzielte Nettostichprobe ist repräsentativ für die verschiedenen Unternehmensgrössen, Branchen und Regionen der Schweizer Wirtschaftsstruktur. Nachfolgend werden die wichtigsten Erkenntnisse dieser repräsentativen Befragung vorgestellt.

Positive Wahrnehmung der IV aber wenig bekannte Aufgaben, Leistungen und Instrumentene Überschrift ein

Die Wahrnehmung der IV ist über die Jahre (Befragungen 2012–2021) ziemlich stabil geblieben (vgl. Grafik G1). Mehrheitlich wird die IV von den Arbeitgebenden mit positiven Attributen beschrieben. 35 % der befragten Unternehmen nehmen die Invalidenversicherung hauptsächlich als eine Partnerin/Unterstützerin wahr. 33 % sehen in ihr eine kompetente Anlaufstelle für Fragen rund um beeinträchtigte Mitarbeiter. Es gibt aber auch kritischere Wahrnehmungen. Ein Fünftel (20 %) der befragten Unternehmen sieht in der Invalidenversicherung eine komplizierte Institution, knapp ein Fünftel eine wenig Bekannte / eine Unbekannte (18 %) und 6 % sehen in der IV primär eine Geldgeberin. Auffällig ist zudem, dass die Wahrnehmung der IV über alle Regionen, Sektoren und Unternehmensgrössenklassen hinweg relativ einheitlich ist. Allerdings wird die IV eher als Partnerin/Unterstützerin gesehen, je grösser ein Unternehmen ist. Bei den grössten Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitenden sehen 57 % die IV als Partnerin/Unterstützerin, während dieser Anteil bei den kleinsten Unternehmen mit vier bis neun Mitarbeitenden nur bei 31 % liegt.

Trotz dieser mehrheitlich positiven Wahrnehmung, sind die Aufgaben und Leistungen der IV den Unternehmen eher wenig bekannt. Nur 5 % gaben an, sich über die Leistungen und Aufgaben der IV sehr gut informiert zu fühlen. Immerhin 33 % fühlen sich eher gut informiert. Gleichzeitig fühlen sich aber 39 % eher weniger und weitere 10 % überhaupt nicht gut informiert. Diese Werte bewegen sich dabei auf einem ähnlichen Niveau, wie bereits in den Befragungsjahren 2014 und 2012. Auffällig ist zudem, dass je kleiner ein Unternehmen ist, desto schlechter es sich über Leistungen und Aufgaben der IV informiert fühlt.

Ein Aspekt, der das festgestellte Informationsdefizit bezüglich Aufgaben und Leistungen der IV zumindest teilweise erklärt, ist, dass bei der Frage nach der Auffindbarkeit und Qualität von Informationen der IV-Stellen (Internetauftritt, Broschüren usw.) eine knappe Mehrheit der befragten Unternehmen die Auffindbarkeit und Qualität gar nicht bewerten konnte, da sie diese Informationsquellen bisher gar nie gesehen oder benutzt haben (vgl. Grafik G2). Immerhin kann festgehalten werden, dass diejenigen, die Informationen/Informationsmaterialien schon gesucht und verwendet haben, diese grossmehrheitlich als gut auffindbar, gut zu verstehen und als informativ einstufen.

Wie werden Kontakte mit den IV-Stellen bewertet?

Neben der generellen Wahrnehmung und dem Wissen über die IV wurden im Rahmen der Arbeitgeberbefragung insbesondere auch Fragen zum Kontakt mit der IV gestellt und welche Erfahrungen die Unternehmen bei solchen Kontakten gemacht haben. 38% der Arbeitgebenden gaben dabei an, mindestens schon einmal mit der für sie zuständigen IV-Stelle in Kontakt gewesen zu sein. Dabei zeigt sich wenig überraschend, dass je grösser ein Unternehmen ist, es desto eher schon entsprechende Kontakte gab. Während also bei den Kleinstunternehmen mit vier bis neun Mitarbeitenden nur 30 % schon Kontakte mit der IV-Stelle hatten, sind es bei den Grossunternehmen mit 250 und mehr Mitarbeitenden 89 %. Es zeigt sich zudem, dass die Mehrheit dieser Kontakte (78 %) in direktem Bezug zu einem konkreten Fall von krankheits- oder unfallbedingten Absenzen stattfanden.

Zusätzlich wurden diejenigen Unternehmen, die angegeben hatten, mit der IV-Stelle schon einmal in Kontakt gewesen zu sein (unabhängig ob wegen einem konkreten Fall oder nicht) auch noch gefragt, wie Sie die Mitarbeitenden der IV-Stelle beurteilen, mit denen Sie in Kontakt standen. Insgesamt wird den Mitarbeitenden der IV-Stellen ein gutes Zeugnis ausgestellt. 70 % der Befragten bejahten das Item «Freundlicher Empfang», d. h. bewerteten dieses mit trifft voll und ganz zu oder trifft eher zu. 66 % waren dieser Meinung im Hinblick auf das Item «Hören zu, nehmen die Leute ernst», 65 % bei «Drücken sich einfach und verständlich aus», 56 % bei «Engagiert, setzen sich für einen ein», 60 % bei «Gut erreichbar» und 53 % bei «Halten einen auf dem Laufenden. Diese Bewertungen sind tatsächlich sogar noch etwas positiver, als es auf den ersten Blick scheint. Denn bei allen Items konnten oder wollten jeweils gut 20 % der Befragten keine Bewertung abgeben.

Im Zusammenhang mit der Bewertung der Leistungen der IV-Stellen zeigt die Befragung auch, dass diejenigen Unternehmen, welche in den letzten drei Jahren bei einem Eingliederungsprozess aktiv durch die IV-Stelle begleitet und beraten wurden, sich grossmehrheitlich (86 %) mit dieser Beratung und Begleitung durch die IV-Stelle sehr (36 %) oder eher (50 %) zufrieden zeigten. Lediglich 13 % gaben an, mit der Beratung/Begleitung (eher) nicht zufrieden gewesen zu sein. Entsprechend wurden auch die von der IV-Stelle im Rahmen dieses Eingliederungsprozesses vorgeschlagenen Lösungen (z.B. Profil der vermittelten Person, Anpassung des Arbeitsplatzes) von einer Mehrheit der Arbeitgebenden (78 %) als sehr gut (25 %) oder zumindest eher gut (53 %) passend zu den Anforderungen der zu besetzenden Stelle im Unternehmen beschrieben.

Erfahrungen, Kompetenz, Haltung und Verhalten der Arbeitgebenden

Neben diesen Fragen und Erkenntnissen, die direkt die IV bzw. die IV-Stellen betrafen, wurden im Rahmen der Arbeitgeberbefragung 2021 auch generellere Fragen bezüglich Erfahrungen, Kompetenz, Haltung und Verhalten der Arbeitgebenden gegenüber der beruflichen Eingliederung von Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen gestellt.

Es zeigte sich, dass nur eine Minderheit der Unternehmen in den letzten drei Jahren eine/n oder mehrere Mitarbeitende weiterbeschäftigt haben, wenn diese krankheits- oder unfallbedingt nicht mehr im gleichen Umfang oder Bereich weiterarbeiten konnten. Nur bei 22 % der Unternehmen gab es eine solche Weiterbeschäftigung in den letzten drei Jahren. Noch kleiner ist der Anteil derjenigen Unternehmen, welche eine beeinträchtigte oder IV-Rente beziehende Person in den letzten drei Jahren neu angestellt hatten (8 %). Diese Anteile sind seit den Befragungen 2014 und 2012 relativ stabil geblieben bzw. nur minimal gesunken.

Von denjenigen Arbeitgebenden, bei denen es entsprechende Weiterbeschäftigungen oder Neueinstellungen in den letzten drei Jahren gab, haben lediglich 26 % immer oder teilweise externe Unterstützung (d.h. von ausserhalb des Unternehmens) für diese Prozesse beigezogen. Wenn Unterstützung beigezogen wurde, dann mehrheitlich bei der zuständigen IV-Stelle (in 54 % der Fälle) oder der Krankentaggeldversicherung (40 %).

Obwohl es nur bei einer Minderheit der Unternehmen in den letzten drei Jahren zu Weiterbeschäftigungen oder Neueinstellungen von Personen mit Einschränkungen kam, gaben 71 % bzw. 54 % der Unternehmen an, sich entsprechende Weiterbeschäftigungen bzw. Neueinstellungen zumindest eventuell vorstellen zu können. Es stimmten auch 83 % (eher) zu, dass bei Krankheit oder Unfall eines Mitarbeitenden die Arbeitgebenden aktiv bei der Suche nach einer angemessenen Lösung für den Arbeitsplatzerhalt im Rahmen des Zumutbaren mitwirken sollen. Neben der sozialen Verantwortung und der persönlichen Beziehung zu betroffenen Mitarbeitenden ist auch der Erhalt von Fachkompetenzen ein für Unternehmen zentraler Grund, eine Weiterbeschäftigung zu ermöglichen (vgl. Grafik G3).

Ein Aspekt, um zu verhindern, dass eine berufliche Eingliederung überhaupt nötig wird und/oder um frühzeitig entsprechende Eingliederungsmassnahmen in die Wege zu leiten, ist das frühzeitige Erkennen eines möglichen Arbeitsausfalls aus psychischen Gründen. 61 % der Arbeitgebenden gaben an, sich sehr gut (12 %) bzw. eher gut (49 %) in der Lage zu fühlen, Frühwarnzeichen wahrzunehmen. Dagegen gaben 26 % an, sich eher weniger (23 %) oder überhaupt nicht gut (3 %) in der Lage zu fühlen Frühwarnzeichen wahrzunehmen. Diejenigen Unternehmen, die angaben, Frühwarnzeichen eher weniger oder überhaupt nicht gut wahrnehmen zu können, sehen vor allem Schulung, persönliche Beratung, Broschüren und entsprechende Internetseiten (jeweils 30–26 % Nennung/Zustimmung) als für sie potenziell hilfreiche Unterstützungsangebote, um Frühwarnzeichen zukünftig eher/besser erkennen zu können.

Es wird spannend sein zu sehen, ob und welche Effekte das Inkrafttreten der Weiterentwicklung der IV per 2022 haben wird und ob bzw. wie sich diese dann in der Arbeitgeberbefragung 2025 zeigen werden.

Dr. phil., geschäftsleitender Partner, DemoSCOPE AG.
[javascript protected email address]
Dr. phil., Projektleiter Sozialforschung, DemoSCOPE AG.
[javascript protected email address]