Spitalaufenthalt bei Neu­geborenen: längere Mutterschaftsentschädigung

Die Rechtslage von Müttern, deren Neugeborenes nach der Geburt im Spital ­verbleiben muss, ist unklar und kann von Fall zu Fall variieren. Um Einkommenslücken zu ­verhindern, will der Bundesrat die Dauer der Mutterschaftsentschädigung verlängern, wenn der ­Spitalaufenthalt des Neugeborenen länger als drei Wochen dauert.
Martine Panchard
  |  21. Dezember 2018
    Recht und Politik
  • Erwerbsersatzordnung
  • Familie

Die Mutterschaftsentschädigung wurde am 1. Juli 2005 in die Erwerbsersatzordnung (EOG) aufgenommen. Seit 1945 war der Auftrag, eine Mutterschaftsversicherung einzuführen, in der Bundesverfassung verankert. Umgesetzt wurde sie schliesslich erst nach mehreren Anläufen. Seit 2005 haben erwerbstätige Mütter während eines 14-wöchigen Mutterschaftsurlaubs Anspruch auf einen Erwerbsersatz von 80 Prozent. Der Höchstansatz beträgt derzeit 196 Franken pro Tag. Der 14-wöchige Mutterschaftsurlaub ist auch im Obligationenrecht (OR) in Artikel 329f verankert. Demnach hat die Mutter ab der Geburt des Kindes Anspruch auf einen Mutterschaftsurlaub und eine Mutterschaftsentschädigung, damit sie sich von der Schwangerschaft und der Niederkunft erholen und sich in den ersten Lebensmonaten der Betreuung des Neugeborenen widmen kann.

Der Beginn des Anspruchs entsteht am Tag der Niederkunft (Art. 16c Abs. 1 EOG). Muss das Neugeborene länger im Spital bleiben, verkürzt sich für die Mutter die Zeit, in der sie sich ausschliesslich um das Kind kümmern kann. Deshalb wird der Mutter ermöglicht (Art. 16c Abs. 2 EOG), bei längerem Spitalaufenthalt des neugeborenen Kindes den Beginn des Anspruchs auf eine Mutterschaftsentschädigung zu verschieben. Bei der Einführung der Mutterschaftsentschädigung sah der Gesetzgeber vor, dass für eine Verschiebung des Anspruchs nur der Gesundheitszustand des Kindes, nicht aber jener der Mutter massgebend ist. Jedoch hat er weder die Frage der Lohnfortzahlung noch der Entschädigung bei Aufschub im EOG geregelt.

Der Aufschub des Entschädigungsanspruchs ist an gewisse Voraussetzungen geknüpft (Art. 24 Abs. 1 EOV). So muss der Spitalaufenthalt unmittelbar nach der Geburt erfolgen und mindestens drei Wochen dauern. Erkrankt das Kind erst einige Tage nach seiner Rückkehr nach Hause und muss sich länger im Spital aufhalten, besteht kein Anspruch auf Aufschub der Mutterschaftsentschädigung. Zudem muss die Mutter auf dem entsprechenden Formular in jedem Fall ausdrücklich beantragen, dass sie die Mutterschaftsentschädigung aufschieben will. Sind alle Voraussetzungen erfüllt oder wird der Aufschub widerrufen, bevor das Kind nach Hause zurückkehrt, wird die Mutterschaftsentschädigung ab dem Ende des Aufschubs ausbezahlt, das heisst ab dem Tag, an dem das Kind das Spital verlässt oder ab Datum des Widerrufs. In diesem Fall erfolgt die Ausrichtung der Entschädigung nicht mehr ab dem Tag der Niederkunft.

Einkommenslücke bei Aufschub Mit der Möglichkeit des Aufschubs ist aber nicht alles geregelt. Zwar wird der Bezug der Mutterschaftsentschädigung aufgeschoben bis das Neugeborene nach Hause gehen kann, aber die Auszahlung der Leistung ist weiterhin auf 14 Wochen beschränkt. Somit stellt sich die Frage der Lohnfortzahlung beziehungsweise eines Lohnersatzes für den Zeitraum zwischen der Geburt und des Aufschubs der Mutterschaftsentschädigung. Zumal gemäss Bundesgesetz über die Arbeit in Industrie, Gewerbe und Handel (Arbeitsgesetz, ArG), unter das die meisten erwerbstätigen Frauen fallen, Mütter während acht Wochen nach der Niederkunft nicht beschäftigt werden dürfen (Art. 35a Abs. 3 ArG).

Das EOG sieht während der Dauer des Aufschubs der Mutterschaftsentschädigung keine Leistungen vor und auch keine andere soziale oder private Versicherung vermag eine ausreichende Deckung zu garantieren. Zudem ist der Lohnanspruch nach Artikel 324a des OR bei Verhinderung des Arbeitnehmers im ersten Dienstjahr auf drei Wochen beschränkt und liegt danach im Ermessen der Gerichte, was in gewissen Fällen zu Unsicherheiten und Lücken führt. Die Gesamtarbeitsverträge (GAV) wiederum gelten nicht für alle Frauen und nicht alle schreiben eine Deckung bei Lohnausfall in einem solchen Fall vor. Mit der jetzigen Rechtslage ist weder die nötige Klarheit noch eine einheitliche Anwendung gegeben, da keine Lohnfortzahlung besteht.

In seinem Bericht «Einkommen der Mutter bei Aufschub der Mutterschaftsentschädigung infolge längeren Spitalaufenthalts des neugeborenen Kindes» in Beantwortung zweier Postulate (10.3523 Maury Pasquier und 10.4125 Teuscher) wies der Bundesrat auf das Risiko von Einkommenslücken während der Dauer des Aufschubs der Mutterschaftsentschädigung hin. Seiner Ansicht nach ist die aktuelle Situation, die auf eine Lücke bei der Einführung der Mutterschaftsentschädigung zurückzuführen ist, unbefriedigend und es besteht Handlungsbedarf. Er unterstützt deshalb eine Lösung, die Ungleichbehandlungen verhindert und bei der die Arbeitgeber nicht alleine für die Lohnfortzahlung aufkommen müssen.

Aufschub und Lohnanspruch: eine Motion ­verlangt Klarheit Die Motion der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerats (16.3631) «Länger dauernde Mutterschaftsentschädigung bei längerem Spitalaufenthalt des Neugeborenen» verlangt vom Bundesrat, in der Erwerbsersatzordnung (EOG) eine Bestimmung einzuführen, die für Fälle, in denen ein Neugeborenes mehr als drei Wochen im Spital verbleiben muss, eine länger dauernde Mutterschaftsentschädigung vorsieht. Der Ständerat stimmte der Motion am 13. Dezember 2016, der Nationalrat am 7. Juni 2017, zu.

Vom 2. März bis 12. Juni 2018 fand die Vernehmlassung zum Vorentwurf statt. Die Vorlage wurde von den Kantonen, politischen Parteien und Verbänden sehr positiv aufgenommen. Die überwiegende Mehrheit der Befragten begrüsst den Vorschlag, der innerhalb eines klar definierten Rahmens erfolgt, keine zusätzlichen EO-Ausgaben verursacht und die Rechtssicherheit erhöht. Einzig die Schweizerische Volkspartei (SVP) und der Schweizerische Gewerbeverband (sgv) sprechen sich gegen die Vorlage aus, da sie einen Leistungsausbau beinhalte.

Geplante Lösung Aus den Spitalstatistiken geht hervor, dass im Jahr 2015 von den 85 000 Neugeborenen insgesamt 1326 während mehr als drei Wochen nach der Geburt im Spital verbleiben mussten. In rund 60 Prozent der Fälle liegt die Spitalaufenthaltsdauer nicht über 35 Tagen, in 80 Prozent der Fälle nicht über 56 Tagen. Eine Hospitalisierung von über 95 Tagen betrifft nur 6 Prozent der Fälle und damit rund 80 Neugeborene (vgl. Grafik G1).

  • Verlängerung um höchstens 56 Tage: Mit Blick auf den Auftrag der Motion führt der Vorentwurf keine neue Leistung ein, sondern sieht eine längere Ausrichtung der bestehenden Mutterschaftsentschädigung gestützt auf die Dauer des Spitalaufenthalts vor, wenn das Neugeborene unmittelbar nach der Geburt ununterbrochen während mindestens drei Wochen im Spital verweilt. Die Verlängerung ist auf acht Wochen (56 Tage) beschränkt und kommt zum bestehenden 14-wöchigen Mutterschaftsurlaub (98 Tage) hinzu. Damit kann der Lohnausfall in rund 80 Prozent der Fälle vollständig ausgeglichen werden; die Regelung deckt zudem auch das achtwöchige Arbeitsverbot nach der Niederkunft. In den restlichen 20 Prozent der Fälle, das heisst wenn der Spitalaufenthalt länger als acht Wochen dauert, kann der Lohnausfall mit dieser Lösung teilweise gedeckt werden. Mit zunehmender Aufenthaltsdauer sinkt indes die Zahl der betroffenen Fälle.
  • Nur für Frauen, die nach dem Mutterschaftsurlaub weiter erwerbstätig sind: Nach heutiger Regelung muss ein Neugeborenes unmittelbar nach der Geburt während mindestens drei Wochen im Spital verweilen, damit die Mutterschaftsentschädigung aufgeschoben werden kann. Diese Voraussetzung wird im Entwurf beibehalten, jedoch auf Mütter beschränkt, die nach dem Mutterschaftsurlaub weiter erwerbstätig sind. Denn das EOG zielt auf den Erwerbsersatz und richtet sich somit nicht an Frauen, die ihre Erwerbstätigkeit nach der Geburt des Kindes unterbrechen. Für Mütter, die ihre Erwerbstätigkeit aufgeben, lässt sich die längere Ausrichtung der Mutterschaftsentschädigung bei längerem Spitalaufenthalt des Neugeborenen somit nicht begründen.

Hingegen ist eine Kürzung des Beschäftigungsgrades nach Beendigung des Mutterschaftsurlaubs nicht relevant; in diesem Fall ist eine längere Ausrichtung der Mutterschaftsentschädigung möglich. Das gilt auch, wenn die Mutter vor der Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit Ferien oder einen unbezahlten Urlaub plant.

Zudem sind Anpassungen im OR vorgesehenen, um die einschlägigen Bestimmungen zum Mutterschaftsurlaub und zum Kündigungsschutz an die EO-Regelungen anzupassen. In der Lehre und Rechtsprechung herrscht heute Einigkeit darüber, dass der Aufschub der Mutterschaftsentschädigung auch den Anspruch auf einen längeren Mutterschaftsurlaub beinhaltet, selbst wenn dies im OR nicht ausdrücklich festgehalten ist. Aus Gründen der Transparenz und der Rechtssicherheit ist es sinnvoll, ausdrücklich festzuhalten, dass der Mutterschaftsurlaub um die Dauer der Ausrichtung der Mutterschaftsentschädigung (Art. 329f OR) verlängert wird, so dass die beiden Systeme optimal koordiniert sind.

  • Kündigungsschutz: Aus den gleichen Gründen wird der Kündigungsschutz (Art. 336c Abs. 1 Bst. c OR) um die effektive Dauer des Spitalaufenthalts des Kindes verlängert. Das Ziel ist die Arbeitsplatzsicherheit während des Mutterschaftsurlaubs.
  • Anzahl Fälle und finanzielle Auswirkungen: Laut Statistik sind längere Spitalaufenthalte von Neugeborenen mit rund 1000 Fällen pro Jahr glücklicherweise selten. Mit der Vorlage kann der Lohnausfall in rund 80 Prozent der Fälle vollständig und bei über 8-wöchigen Spitalaufenthalten teilweise ausgeglichen werden. Die Kosten sind somit begrenzt und die EO-Beiträge, die derzeit bei 0,45 Lohnprozenten liegen, müssen nicht erhöht werden. Pro Jahr liegen die Mehrausgaben bei unter 10 Millionen Franken.
B-Law, wissenschaftliche Mitarbeiterin, Bereich Leistungen AHV/EO/EL, Geschäftsfeld AHV, beruf­liche Vorsorge und EL, BSV.
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