Sozialversicherungen: Was sich 2019 ändert

Anfang Januar 2019 treten in den Sozialversicherungen neue Bestimmungen in Kraft. Dieser Artikel gibt einen Überblick über die Änderungen und die wichtigsten laufenden Projekte. Er basiert auf den Informationen, die Mitte November 2018 verfügbar waren.
Mélanie Sauvain
  |  03. Dezember 2018
    Recht und Politik
  • Alters- & Hinterlassenenversicherung
  • Berufliche Vorsorge
  • Ergänzungsleistungen
  • Erwerbsersatzordnung
  • Familienzulagen
  • Invalidenversicherung
  • Kinder- und Jugendschutz
  • Krankenversicherung

Änderungen 2019

 1. Säule

  • Anpassung der AHV/IV-Renten und der EL Die ordentlichen AHV- und IV-Renten werden an die Preisentwicklung angepasst. Die minimale Altersrente wird von 1175 auf 1185 Franken pro Monat angehoben, die Maximalrente (bei voller Beitragsdauer) von 2350 auf 2370 Franken. Bei den Ergänzungsleistungen (EL) wird der Betrag für die Deckung des allgemeinen Lebensbedarfs von 19 290 auf 19 450 Franken pro Jahr für Alleinstehende, von 28 935 auf 29 175 Franken für Ehepaare und von 10 080 auf 10 170 Franken für Waisen erhöht. Auch die Hilflosenentschädigungen werden angepasst. Beitragsseitig wird der Mindestbeitrag von Selbstständigerwerbenden und Nichterwerbstätigen für AHV, IV und EO von 478 auf 482 Franken pro Jahr erhöht. Der Mindestbeitrag in der freiwilligen AHV/IV erhöht sich von 914 auf 922 Franken. Die AHV/IV-Renten wurden im Jahr 2015 letztmals erhöht. Grundsätzlich prüft der Bundesrat alle zwei Jahre, ob eine Anpassung notwendig ist.
  • Bundesbeitrag an die EL-Kosten: Ab dem 1. Januar 2019 gilt für die Berechnung des Bundesanteils an die Kosten der EL ein neuer Stichtag. Um das Verhältnis zwischen Existenzsicherung im engeren Sinn und heimbedingten Mehrkosten zu berechnen, wird künftig auf den Monat Mai des laufenden Jahres und nicht mehr auf den Dezember des Vorjahres abgestellt. Dadurch kann für das Jahr, in dem die Leistungen fällig sind, allfälligen berechnungsrelevanten Gesetzesänderungen in den Kantonen Rechnung getragen werden (z. B. Heimtaxerhöhungen). Der Bundesbeitrag wird im Jahr 2018 noch nach bisherigem Recht festgesetzt.
  • Ausgleichsfonds von AHV, IV und EO: Ab dem neuen Jahr werden die Ausgleichsfonds der AHV, IV und EO durch eine öffentlich-rechtliche Anstalt des Bundes mit dem Namen Compenswiss verwaltet. Es handelt sich um die zweite Etappe der Inkraftsetzung des neuen Ausgleichsfonds-Gesetzes[1].

 Berufliche Vorsorge

  • Mindestzinssatz: Der Mindestzinssatz in der obligatorischen beruflichen Vorsorge (BVG) bleibt 2019 unverändert bei 1 Prozent. Der Bundesrat folgt damit nicht der BVG-Kommission, die eine Senkung des Mindestzinssatzes auf 0,75 Prozent empfohlen hatte. Allerdings hat er, wie die Kommission, ein neues Berechnungsmodell für die Mindestverzinsung des Altersguthabens im BVG-Obligatorium verwendet. Die neue Berechnungsformel basiert im Wesentlichen auf dem gleichen Prinzip wie die vorherige, jedoch wird der aktuellen Entwicklung ein stärkeres Gewicht beigemessen. Künftig ist der jeweilige Stand der zehnjährigen Bundesobligationen massgebend und nicht mehr deren langfristiger Durchschnitt über sieben Jahre. Zudem wird der Entwicklung der anderen Anlagemöglichkeiten – Aktien, Obligationen, Immobilien – etwas besser Rechnung getragen. Diese Formel ergab Ende September 2018 einen Satz von 1,03 Prozent. Der Mindestzinssatz betrifft nur die Guthaben der obligatorischen beruflichen Vorsorge. Im Überobligatorium steht es den Vorsorgeeinrichtungen frei, eine andere Verzinsung festzulegen. Der seit 2017 geltende Satz von 1 Prozent ist der tiefste Wert in der Geschichte der beruflichen Vorsorge.
  • Anpassung der Grenzbeträge: Der Koordinationsabzug in der obligatorischen beruflichen Vorsorge wird von 24 675 auf 24 885 Franken, die Eintrittsschwelle von 21 150 auf 21 330  Franken angehoben. Der maximal erlaubte Steuerabzug im Rahmen der gebundenen Selbstvorsorge (Säule 3a) wird ebenfalls nach oben angepasst. Neu beträgt er 6826 Franken (aktuell 6768) für Personen, die der beruflichen Vorsorge unterstellt sind, bzw. 34 128 Franken (aktuell 33 840) für Personen ohne 2. Säule.
  • Beiträge arbeitsloser Personen: Der BVG-Beitrag für Arbeitslose wird von 1,5 auf 0,25 Prozent gesenkt. Aufgrund des Rückgangs der Schadensumme in den vergangenen Jahren und des entsprechend soliden Deckungsgrads kann der Beitragssatz auf dem koordinierten Tageslohn von Arbeitslosen gesenkt werden. Mit dieser Änderung der Verordnung über die obligatorische berufliche Vorsorge von arbeitslosen Personen werden der Fonds der Arbeitslosenversicherung und die Betroffenen um rund 20 Millionen Franken entlastet. Versicherte Arbeitslose sind über die Stiftung Auffangeinrichtung BVG gegen die Risiken Tod und Invalidität versichert.
  • Anpassung der Renten von 2015: Die seit 2015 ausgerichteten Hinterlassenen- und Invalidenrenten der obligatorischen zweiten Säule (BVG) werden erstmals an die Preisentwicklung angepasst. Der Anpassungssatz beträgt 1,5 Prozent. Die bereits vor 2015 laufenden Renten bleiben hingegen unverändert. 

Krankenversicherung

  • Anstieg der Krankenkassenprämien: Die mittlere Prämie der obligatorischen Krankenpflegeversicherung steigt im nächsten Jahr um 1,2 Prozent. Während die Prämien für über 25-Jährige und Kinder um durchschnittlich 2,4 Prozent ansteigen, sinken jene für junge Erwachsene um durchschnittlich 15,6 Prozent. Diese Senkung ist auf einen Entscheid des Parlaments zurückzuführen, junge Erwachsene zwischen 19 und 25 Jahren beim Risikoausgleich zur Hälfte zu entlasten. Diese Entlastung wird durch eine Erhöhung des Risikoausgleichs bei den über 25-Jährigen finanziert. Anzumerken ist, dass die Berechnung des durchschnitten jährlichen Anstiegs erstmals nicht mehr auf der Standardprämie, das heisst der Prämie für Erwachsene mit 300 Franken Franchise und Unfalldeckung, basiert. Denn nur noch knapp jede fünfte Person wählt die Standardprämie. Das BAG verwendet als Berechnungsgrundlage künftig die mittlere Prämie, welche die effektiv bezahlten Prämien in der Schweiz abbildet, und zwar unabhängig von Alter, Franchise oder Prämienmodell.
  • Kostenkontrolle im Gesundheitswesen: Um den Kostenanstieg im Gesundheitswesen zu dämpfen, wurden verschiedene Massnahmen beschlossen oder sind in Erarbeitung. Eine Massnahme ist die Preissenkung bei einigen hundert Medikamenten, Originalpräparaten oder Generika, und bei von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung rückerstatteten Produkten, wie etwa Blutzuckerteststreifen. Die Preissenkungen gelten ab Dezember 2018. Mit dem gleichen Ziel werden gewisse bis anhin stationäre Leistungen in ambulante umgewandelt und nur noch vergütet, wenn sie ambulant vorgenommen werden. Es sind dies: einseitige Krampfaderoperationen der Beine, Eingriffe an Hämorrhoiden, einseitige Leistenhernienoperationen, Untersuchungen/Eingriffe am Gebärmutterhals oder an der Gebärmutter, Kniearthroskopien (inkl. Eingriffe am Meniskus), Eingriffe an Tonsillen und Adenoiden. Mit dieser Massnahme könnten Schätzungen zufolge rund 33 000 Behandlungen pro Jahr vom stationären in den ambulanten Bereich verlagert werden und den Kantonen Einsparungen von etwa 90 Millionen Franken bringen.
  • Zugang zu Heilmitteln: Das revidierte Heilmittelgesetz tritt in Kraft. Unter anderem sollen die Anforderungen in Bezug auf die Abgabe von Arzneimitteln gelockert und dadurch die Selbstmedikation vereinfacht werden. Künftig wird vermehrt auf die Kompetenzen von Apothekerinnen und Apothekern abgestellt, sodass sie rezeptfrei erhältliche, aber auch einige bisher rezeptpflichtige Arzneimittel leichter abgeben können (z. B. Antihistaminika gegen Heuschnupfen). Darüber hinaus werden die Zulassungsverfahren vereinfacht, insbesondere für Arzneimittel, die bereits in Ländern zugelassen sind, die ähnliche Verfahren wie die Schweiz kennen. Eine vereinfachte Zulassung wird auch für Produkte der Komplementärmedizin und der Phytotherapie gelten. Ausserdem enthält das neue Gesetz Bestimmungen für eine bessere Markttransparenz und -aufsicht. Die Anforderungen an die Pharmacovigilance, d. h. die Überwachung von Nebenwirkungen bei Arzneimitteln, werden verstärkt. Dadurch stehen mehr Informationen zu den wahrscheinlichen oder bereits identifizierten Risiken zur Verfügung.
  • Pädiatrische Arzneimittel: Die Entwicklung von Kinderarzneimitteln wird gefördert. Durch das revidierte Heilmittelgesetz profitieren Hersteller künftig während zehn Jahren von einem verbesserten Schutz vor Nachahmerprodukten. Weitere Anreize zur Entwicklung von Arzneimitteln speziell für Kinder sind im revidierten Patentgesetz und dessen Verordnung enthalten, die ebenfalls am 1. Januar 2019 in Kraft treten. Da es heute keine speziell auf Kinder zugeschnittene Arzneimittel gibt, verschreiben Kinderärztinnen und Kinderärzte oft Produkte, für die keine klinischen Studien durchgeführt wurden und die für diese Patientengruppe nicht zugelassen sind. Wenn Arzneimittelhersteller pädiatrische Studien zu Medikamenten durchführen und damit Anwendungsmöglichkeiten speziell für Kinder aufzeigen, erhalten sie für ihre patentierten Erfindungen Schutzverlängerungen von sechs Monaten. Diese sogenannte «pädiatrische Verlängerung» soll die erhöhten Forschungs- und Entwicklungskosten zumindest zum Teil ausgleichen.
  • Moratorium verlängert: Bis das neue Regulierungssystem steht, bleibt der Zulassungsstopp für Ärztinnen und Ärzte noch weitere zwei Jahre, das heisst bis im Juni 2021 bestehen. Mit der Verlängerung soll eine Lücke in der Begrenzung der Ärztezulassung in der Grundversicherung und vor allem ein massiver Anstieg der Anzahl Ärztinnen und Ärzte auf dem Markt vermieden werden.  Der Zulassungsstopp galt von 2001 bis 2011 und musste 2013 wieder eingeführt werden, nachdem die zwischenzeitliche Aufhebung des Zulassungsstopps zu einem Zustrom neuer Ärztinnen und Ärzte und höheren Gesundheitskosten geführt hatte. Im Parlament wird derzeit eine Teilrevision des KVG zur Regulierung der Zulassung von Leistungserbringern diskutiert, die das Moratorium ersetzen soll. So sollen insbesondere die Kantone und nicht mehr der Bundesrat die Höchstzahlen für die Zulassung von Ärztinnen und Ärzte pro Fachgebiet festlegen können.

 Sozial- und Gesundheitspolitik

  • Armutsbekämpfung: Das Engagement des Bundes zur Prävention und Bekämpfung von Armut wird auch nach Abschluss des nationalen Programms per 31. Dezember 2018 fortgesetzt. Bund, Kantone, Städte, Gemeinden und Organisationen der Zivilgesellschaft werden bis 2024 gemeinsame Aktivitäten im Rahmen der Nationalen Plattform gegen Armut umsetzen (siehe Schwerpunkt, S. 7–39).
  • Organspende: Der Aktionsplan «Mehr Organe für Transplantationen» wird bis 2021 verlängert. Er wurde 2013 lanciert, um die Zahl der Organspenderinnen und -spender von 13,7 Personen pro Million Einwohnerinnen und Einwohner bis Ende 2018 auf 20 Personen zu erhöhen. Dieses Ziel wurde nicht erreicht, aber die positiven Auswirkungen der eingeführten Massnahmen sind deutlich sichtbar, da es seit 2013 im Durchschnitt jedes Jahr mehr Organspenderinnen und -spender als im Vorjahr gibt, mit einem Höchststand im Jahr 2017. Verbesserungen wurden unter anderem bei der Ausbildung des medizinischen Fachpersonals sowie in den Bereichen Qualitätsmanagement und Spitalressourcen verzeichnet.

Wichtigste Projekte 2019

Stabilisierung der AHV 2018 ging eine neue AHV-Reform (AHV 21) in die Vernehmlassung. Sie plant eine Flexibilisierung des Rentenalters, eine Erhöhung des Frauenrentenalters mit Ausgleichsmassnahmen sowie eine Zusatzfinanzierung für die AHV. Der Bundesrat wird dem Parlament die Botschaft dazu voraussichtlich im zweiten Halbjahr 2019 unterbreiten. Dabei wird er dem Ausgang des Bundesgesetzes über die Steuerreform und die AHV-Finanzierung (STAF) Rechnung tragen, das am 19. Mai 2019 vors Volks käme, falls das Referendum zustande kommt. Das Gesetz sieht vor, dass für jeden Steuerfranken, der durch die neue Unternehmenssteuerreform entfällt, ein Franken in die AHV fliessen soll.

Weiterentwicklung der IV Das Parlament wird sich voraussichtlich 2019 mit der Weiterentwicklung der IV befassen. Die Revision sieht eine Reihe von Massnahmen für drei Zielgruppen vor: Kinder, Jugendliche und Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen. Schwerpunkt sind insbesondere die berufliche Ausbildung und Eingliederungsmassnahmen. Mit dem Projekt sollen ausserdem die Koordination zwischen den Akteuren (IV-Stellen, Ärzteschaft, Arbeitgeber usw.) und das System der Rentenberechnung in der IV verbessert werden.

KVG-Franchisen Der Themenschwerpunkt Franchisen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung wird das Parlament im Rahmen unterschiedlicher Debatten beschäftigen. Ein vom Bundesrat ans Parlament überwiesenes Geschäft sieht beispielsweise vor, die Höhe der Franchisen an die Kostenentwicklung anzupassen: Konkret würden sämtliche Franchisen erwachsener Versicherten um 50 Franken steigen, sobald die Gesundheitskosten einen bestimmten Schwellenwert übersteigen. Das Parlament wird sich auch dazu äussern, ob es die Versicherten verpflichten will, eine bestimmte Wahlfranchise während drei Jahren beizubehalten, damit die Franchise bei allfälligen Gesundheitsproblemen nicht geändert werden kann. Eine entsprechende parlamentarische Initiative wurde von den Kommissionen beider Kammern gutgeheissen. Der Bundesrat empfiehlt die Ablehnung der Initiative. Eine gegenwärtig diskutierte Motion sieht die Erhöhung der Mindestfranchise von 300 auf 500 Franken vor.

Regelung von Cannabis Mit einer Revision des Betäubungsmittelgesetzes soll der Zugang zu Medizinalcannabis erleichtert werden. Die Vorlage soll bis spätestens im Sommer 2019 in die Vernehmlassung gehen. In der Schweiz wurden 2017 rund 3000 Patientinnen und Patienten mit Cannabis behandelt. Dieser kann Schmerzen lindern, wenn andere Behandlungsmethoden versagt haben, zum Beispiel bei altersbedingten Beschwerden, unheilbaren Krankheiten oder Krebs. Der Zugang zu Medizinalcannabis ist jedoch kompliziert, insbesondere wegen der erforderlichen Ausnahmebewilligung. Mit der Gesetzesänderung soll das Verbot, Medizinalcannabis in Verkehr zu bringen, aufgehoben und eine allfällige Kostenübernahme durch die Krankenversicherung geprüft werden. Die Frage, ob der Freizeitkonsum von Cannabis legalisiert werden soll oder nicht, bleibt völlig offen. Es ist vorgesehen, Pilotversuche zuzulassen, um die Auswirkungen anderer Regulierungsmodelle auf den Konsum und den Schwarzmarkt zu ermitteln. Die Pilotversuche wären zeitlich, örtlich und von der Teilnehmerzahl her begrenzt. Die Botschaft zur entsprechenden Anpassung des Betäubungsmittelgesetzes wird voraussichtlich 2019 ans Parlament überwiesen.

 

[1] Vgl. Luck, Simon: «Neues Ausgleichsfondsgesetz gelangt in die Umsetzung», in CHSS 4/17, Seite 37–40.

Projektleiterin,
Öffentlichkeitsarbeit, Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV)
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