Mutterschaftsentschädigung bei längerem Spitalaufenthalt des Neugeborenen

Mütter haben heute kein gesichertes Einkommen, wenn ihr Neugeborenes nach der Geburt länger im Spital bleiben muss. Eine Gesetzesänderung, die Anfang Juli 2021 in Kraft tritt, schliesst diese Lücke.
Andrea Künzli
  |  04. Juni 2021
    Recht und Politik
  • Erwerbsersatzordnung
  • Familie
  • Gesellschaft

Nach der Geburt eines Kindes hat eine Arbeitnehmerin Anspruch auf einen 14-wöchigen Mutterschaftsurlaub (Art. 329f OR) und auf eine über die Erwerbsersatzordnung (EO) finanzierte Mutterschaftsentschädigung von 98 Tagen (Art. 16b EOG). Heute kann die Mutter den Anspruch auf die Mutterschaftsentschädigung aufschieben, wenn ihr Neugeborenes unmittelbar nach der Geburt für mindestens drei Wochen im Spital bleiben musste (Art. 16c Abs. 2 EOG).

Für die betroffenen Mütter stellt sich für die Zeit zwischen Niederkunft und Ausrichtung der aufgeschobenen Mutterschaftsentschädigung die Frage der Lohnfortzahlung. Umso mehr als das Arbeitsgesetz (ArG) festhält, dass Mütter während acht Wochen nach der Niederkunft nicht beschäftigt werden dürfen (Art. 35a Abs. 3). Das EOG sieht während der Dauer des Aufschubs der Mutterschaftsentschädigung keine Leistungen vor, und auch keine andere soziale oder private Versicherung vermag eine ausreichende Deckung zu garantieren. Der Lohnanspruch nach Artikel 324a des Obligationenrechts (OR) bei Verhinderung des Arbeitnehmers ist im ersten Dienstjahr auf drei Wochen beschränkt und liegt danach im Ermessen der Gerichte, was in gewissen Fällen zu Unsicherheiten und Lücken führt. Was die Gesamtarbeitsverträge (GAV) anbelangt, so gelten diese nicht für alle Frauen und nicht alle sehen eine Deckung bei Lohnausfall in einem solchen Fall vor. Betroffene Mütter haben in dieser Zeit somit unter Umständen kein gesichertes Einkommen.

Längere Mutterschaftsentschädigung Um das Einkommen erwerbstätiger Mütter, deren Neugeborene länger im Spital bleiben, ab der Geburt zu sichern, hat das Parlament Massnahmen beschlossen, die am 1. Juli 2021 in Kraft treten:

  • Längerer Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung, wenn das Neugeborene unmittelbar nach der Geburt für mindestens zwei Wochen im Spital bleiben muss: Ein Aufschub der Mutterschaftsentschädigung wird nicht mehr möglich sein. Die Mutterschaftsentschädigung wird somit in allen Fällen ab der Geburt des Kindes ausgerichtet.
  • Verlängerung der Mutterschaftsentschädigung um die Anzahl Tage, die das Neugeborene im Spital bleiben muss, maximal aber um 56 Tage: Die Dauer von 56 Tagen entspricht dem achtwöchigen Arbeitsverbot nach Artikel 35a Absatz 3 ArG, die Wochenenden und Feiertage eingerechnet.
  • Kumulierung von ordentlicher Mutterschaftsentschädigung und Verlängerung: Die Verlängerung wird zu der ordentlichen Dauer der Mutterschaftsentschädigung hinzugerechnet. Somit kann während maximal 154 Tagen (98 + 56 Tage) eine Mutterschaftsentschädigung bezogen werden. Gleichzeitig verlängern sich Mutterschaftsurlaub und Kündigungsschutz um die Dauer der länger bezogenen Mutterschaftsentschädigung (Art. 329f Abs. 2 und Art. 336c Abs. 1 Bst. cbis OR).
  • Erlöschen des Anspruchs: Die Mutterschaftsentschädigung endet nach dem 154. Tag, auch wenn das Neugeborene länger als 56 Tage im Spital bleiben muss. Bleibt es weniger als 2 Wochen im Spital, wird die ordentliche Dauer der Mutterschaftsentschädigung ausgerichtet.
  • Antrag: Die Mutter muss die Verlängerung bei der zuständigen AHV-Ausgleichskasse beantragen. Sie muss mit einem Arztzeugnis belegen, dass das Neugeborene unmittelbar nach der Geburt und ununterbrochen während mindestens zwei Wochen im Spital bleiben musste.
  • Verlängerung nur bei Lohnausfall: Der längere Spitalaufenthalt des Neugeborenen wird nur dann über das EOG ausgeglichen, wenn er zu einem Lohnausfall führt. Deshalb muss die Mutter belegen, dass sie im Zeitpunkt der Geburt bereits beschlossen hatte, nach Ende des Mutterschaftsurlaubs wieder eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Dazu muss sie im Zeitpunkt der Geburt ein Arbeitsverhältnis nachweisen, das nach Ende des Mutterschaftsurlaubs gültig ist. Die Selbstständigerwerbende muss im Zeitpunkt der Geburt Selbstständigenstatus im Sinne der AHV ausweisen.
  • Anspruch bei Arbeitslosigkeit: Hat die arbeitslose Mutter ihren Anspruch auf Arbeitslosentaggelder vor der Geburt noch nicht ausgeschöpft und ist die AVIG-Rahmenfrist für den Leistungsbezug am Tag nach Ende des Mutterschaftsurlaubs noch offen, kann auch sie die Mutterschaftsentschädigung länger beziehen, wenn die anderen Bedingungen gegeben sind.

Gezielte Schliessung einer Lücke Mit diesen Änderungen wird weder eine neue Leistung geschaffen noch die Anspruchsbedingungen für die Mutterschaftsentschädigung geändert. Die Dauer des Anspruchs auf die Entschädigung wird lediglich von heute 98 auf maximal 154 Tage verlängert, wenn ein Neugeborenes direkt nach der Geburt mindestens zwei Wochen im Spital bleiben muss. Dank der Änderungen wird eine für Betroffene äusserst belastende Situation teilweise aufgefangen. Mit der Möglichkeit der Anspruchsverlängerung kommen für die Mütter nicht auch noch finanzielle Probleme oder juristische Auseinandersetzungen hinzu, weil sie ihren Lohnanspruch auf zivilrechtlichem Weg geltend machen müssen.

Rechtsanwältin MLaw, Leistungen AHV/EO/EL, Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV)
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