Erfolgsfaktoren von Unternehmen der sozialen und beruflichen Integration

Die soziale und berufliche Integration schützt am nachhaltigsten vor Armut. Erstmals ­identifizierte eine explorative Studie die Erfolgsfaktoren aus Sicht der Unternehmen der sozialen und beruflichen Integration (USBI), der Sozialwerke und den Klientinnen und Klienten.
Stefan M. Adam, Gregorio Avilés, Daniela Schmitz
  |  02. September 2016
    Forschung und Statistik
  • Armut
  • Eingliederung

Auf den ersten Blick ist es erstaunlich, wie wenig über die Erfolgsfaktoren von USBI bekannt ist – obwohl es in der Schweiz über 400 solcher Unternehmen gibt, die rund 43 000 erwerbslosen Menschen marktnahe Arbeitstätigkeiten zur Verfügung stellen und damit einen wichtigen Beitrag zur Armutsbekämpfung leisten. Doch auf den zweiten Blick ist dieser «blinde Fleck» nachvollziehbar: USBI sind hybride Organisationen (Glänzel/Schmitz 2012). Sie bewegen sich zwischen sozialen Zielsetzungen im Rahmen eines staatlichen Leistungsauftrags einerseits (z. B. Integration in den Arbeitsmarkt, soziale Integration, Verbesserung der Arbeitsmarktfähigkeit durch unterstützende Aus- und Weiterbildung) und marktwirtschaftlichen Prinzipien andererseits (Kosten-, Termin-, Auftragsdruck, Qualitätsansprüche). Mit anderen Worten: USBI müssen zwei nahezu entgegengesetzte Logiken in sich vereinigen.

USBI als hybride Organisationen und deren Erfolgsfaktoren können mit bisherigen Forschungsansätzen nur unzureichend beschrieben werden. Die betriebswirtschaftlich orientierte Erfolgsfaktorenforschung konzentriert sich auf unternehmensbezogene, primär monetäre Erfolgsfaktoren und vernachlässigt die sozialen Zielsetzungen. Sozialwissenschaftliche Ansätze hingegen fokussieren auf soziale Ziele und Wirkungen, lassen aber die unternehmensbezogenen Aspekte ausser Acht. Damit wird deutlich: Die Forschung zu hybriden Unternehmen und insbesondere zu deren Erfolgsfaktoren steht erst am Anfang.

Zielsetzungen Im Auftrag des Nationalen Programms gegen Armut ging eine interdisziplinäre Forschungsgruppe die skizzierte Forschungslücke mit drei Hauptzielsetzungen an:

  • Identifikation von Erfolgsfaktoren der sozialen und beruflichen Integration durch USBI aus eigener Sicht sowie in der Wahrnehmung der Sozialwerke und der Klientinnen und Klienten;
  • Darstellung der identifizierten Erfolgsfaktoren in ihrem Zusammenwirken;
  • Identifikation von Schlüsselfaktoren im Einfluss- und Steuerungsbereich von USBI.

Methode Um die Erfolgsfaktoren einer sozialen und beruflichen Integration identifizieren zu können, wurden über diverse Befragungen der drei Hauptakteure zunächst verschiedene Indikatoren erhoben, die sich dazu eignen, den Erfolg der USBI zu messen. Darunter fallen für Letztere beispielsweise die Anzahl erfolgreicher Integrationen in den Arbeitsmarkt oder die betriebliche Rentabilität. Bei den Klientinnen und Klienten sind es positive Veränderungen der finanziellen, sozialen oder beruflichen Situation.

Die Erfolgs- und Schlüsselfaktoren aus Sicht der USBI wurden mit Anlehnung an die betriebswirtschaftliche Erfolgsfaktorenforschung deskriptiv-quantitativ ermittelt. Es wurden insgesamt 18 USBI, zehn aus der Deutschschweiz und je vier aus der Westschweiz und dem Tessin mittels Onlinefragebogen befragt und sowohl deren strategische und organisatorische Modelle als auch deren Finanzierung analysiert. Die Auswahl der USBI erfolgte entlang bestimmter Kriterien wie Sprachregion, Zielgruppe, Grösse, Volumen des Markterlöses und Rechtsform.

Zur Ermittlung der Erfolgs- und Schlüsselfaktoren aus Sicht der Sozialwerke wurden, verteilt über die Deutschschweiz, die Westschweiz und das Tessin, vier Leiterinnen und Leiter von kantonalen Stellen der Arbeitslosenversicherung (ALV) sowie drei Vertreter und Vertreterinnen der Invalidenversicherung (IV) und fünf der Sozialhilfe (SH) befragt.

Zur Analyse der Klientenperspektive wurden in rund zehn USBI 27 Personen interviewt (16 in der Deutschschweiz, sieben in der Westschweiz und vier im Tessin). In 13 Fällen wurden die Betroffenen von der Sozialhilfe unterstützt; neun waren der ALV zuzuordnen, fünf bezogen Leistungen der IV.

Ergebnisse

Erfolgs- und Schlüsselfaktoren aus Sicht der USBI Aus der Analyse der strategischen und organisatorischen Modelle der untersuchten USBI liessen sich zahlreiche Erfolgsfaktoren ableiten (vgl. Grafik G1), die zum Gesamterfolg eines USBI im Sinne eines besseren Integrationserfolgs und der Sicherung der Betriebstätigkeit beitragen.

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Das Kompetenzenportfolio der regulären Mitarbeitenden ist nach Einschätzung der in der Studie befragten USBI der wichtigste Erfolgsfaktor auf strategischer und organisatorischer Ebene. Denn nur mit einem angemessenen, breiten Spektrum an Kompetenzen kann der wachsenden Heterogenität und Komplexität der Klientenbedürfnisse und dem dadurch verursachten Mehrbedarf an individueller Begleitung Rechnung getragen werden. Eine solche Kompetenzenvielfalt – zusammen mit einem vielfältigen Leistungsangebot – fördert aber nicht bloss die Begleitprozesse, sondern auch die Produktionsprozesse von USBI, die dadurch einen höheren Grad an Qualität, Effizienz und Effektivität erreichen können.

Ein ausgewogener Kompetenzenmix auch im obersten Leitungsorgan und in der Geschäftsleitung trägt wesentlich zu einer professionellen Führung bei und unterstützt die Entscheidungsträger darin, die richtigen strategischen Entscheide zum richtigen Zeitpunkt zu treffen.

Schliesslich ist auch die Orientierung an Qualitätsmanagement- und Corporate-Governance-Standards in verschiedener Hinsicht erfolgsentscheidend. Einerseits leistet die Befolgung von Qualitätsmanagement-Standards einen wichtigen Beitrag an eine optimale Gestaltung der Begleit- und Produktionsprozesse und eine wirkungsvollere Unterstützung der Klientinnen und Klienten. Andererseits tragen Qualitäts- und Corporate-Governance-Standards zur Gewährleistung einer professionellen Führung und einer optimalen Organisationsstruktur der USBI bei. In diesem Sinne sind sie kurzfristig für eine konforme Abwicklung des Alltagsgeschäfts und mittelfristig zur Sicherung der Betriebstätigkeit unabdingbar.

Wichtig für den finanziellen Erfolg von USBI sind eine professionelle Führung, d. h. beispielsweise der gezielte Einsatz von Managementmethoden und Führungsstrukturen, eine unternehmerische Ausrichtung sowie entlohnte reguläre Mitarbeitende mit fachspezifischen Qualifikationen (vgl. Grafik G2). Ein gutes Finanzmanagement beinhaltet darüber hinaus u. a. ein organisationsinternes Finanzwesen, ein Controlling und Kennzahlensystem sowie eine regelmässige Berichterstattung. Als zentral zeigt sich der Erfolgsfaktor der Diversifizierung. Erfolgversprechend ist v. a. die Fähigkeit einer USBI, ihr Tätigkeitsgebiet und ihre Klientengruppen, aber auch ihre Finanzierungsquellen (d. h. einerseits die zuweisenden Stellen, andererseits neben öffentlichen Beiträgen ebenso Markterlöse und Spenden) angemessen zu diversifizieren. Dabei zeigt die Studie sehr deutlich, dass die Diversifizierung der USBI nicht nur für ihren finanziellen, sondern gleichermassen für ihren sozial-integrativen Erfolg von Bedeutung ist. So schaffen es die untersuchten USBI, mit innovativen Ideen neuartige Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln, die ihrerseits neue Tätigkeitsgebiete für die Klientinnen und Klienten darstellen, das Matching verbessern und zusätzliche bzw. neue Finanzierungsquellen erschliessen können. Das erfolgreiche Zusammenspiel der beschriebenen finanzbezogenen Erfolgsfaktoren erlaubt es den USBI schliesslich, ihren unternehmerischen Spielraum zu bewahren und den finanziellen Erfolg sowie letztlich ihre Betriebstätigkeit zu sichern.

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Erfolgsfaktoren aus Sicht der Sozialwerke Die Leiterinnen und Leiter der kantonalen IV-, SH- und ALV-Stellen identifizierten die Ausgangslage der Klientinnen und Klienten sowie die Rahmenbedingungen und die Güte der Zusammenarbeit als Schlüsselfaktoren für den Erfolg der sozialen und beruflichen Integration. So sind sich die Vertreterinnen und Vertreter der Sozialwerke grundsätzlich einig, dass der Erfolg des Integrationsprozesses massgeblich von der persönlichen Motivation der Klientinnen und Klienten abhängt. Wichtig sind hierbei ein Mitspracherecht, der Einbezug in Produktionsprozesse und die Abklärung der individuellen Ressourcen und Interessen. Bei den Rahmenbedingungen steht das Auftragsverhältnis zwischen Sozialwerken und USBI im Zentrum der Erfolgsbeurteilung. Einige Gesprächspartner kritisierten die kantonalen Unterschiede im Vertragsmanagement, und auch die uneinheitliche Handhabung der Gewinn- und der Konkurrenzregelung wird beanstandet. Hier besteht erheblicher Diskussions- und Klärungsbedarf: Denn dem eingeforderten unternehmerischen Handeln steht eine steigende Anzahl gesetzlicher und administrativer Hürden gegenüber. Schliesslich wird auf die Form und Qualität der Zusammenarbeit als wichtigen Schlüsselfaktor hingewiesen. Damit sind sämtliche Konstellationen von Zusammenarbeit angesprochen – sowohl die Zusammenarbeit zwischen Sozialwerken und USBI, der USBI untereinander oder mit Arbeitgebern im Markt – deren Gelingen insbesondere von der Bereitschaft der involvierten Personen abhängt. Die Qualität wird im Wesentlichen positiv, wenn auch verbesserungsfähig, eingeschätzt, insbesondere die Zusammenarbeit unter den USBI und zwischen USBI und Arbeitgebern im ersten Arbeitsmarkt.

Erfolgsfaktoren aus Klientensicht Motivation, die Güte der Zusammenarbeit, der Kompetenzenmix der regulären Mitarbeitenden und der Bezug zum ersten Arbeitsmarkt wurden auch aus der Klientenperspektive – insbesondere mit Blick auf den Einzelfall – thematisiert. Als motivationsfördernd erweist sich, wenn die Klientinnen und Klienten in die Zusammenarbeit zwischen USBI und Sozialwerken mitverantwortlich einbezogen werden; desgleichen wollen sie als Einzelfall und Person ernstgenommen werden. Die Arbeit in einem USBI entfaltet dann die optimale Wirkung, wenn Klientinnen und Klienten mit USBI und Sozialwerken Ziele vereinbaren können, die der konkreten Situation und der individuellen Ausgangslage angepasst sind (z. B. Dauer, Beschäftigungsgrad). Zudem kann die Arbeit im USBI nur dann optimal wirken, wenn die Klientinnen und Klienten über alle Entscheidungen, die sie betreffen, transparent informiert werden. Auch entscheidend ist die Berücksichtigung bestehender physischer, psychischer, qualifikationsbezogener oder sozialer Einschränkungen der Klientinnen und Klienten, ohne diese darauf zu reduzieren. Nur so können die vorhandene Arbeitsfähigkeit erhalten und das Arbeitsmarktpotenzial gefördert werden. Des Weiteren zeigt sich, dass eine ausgewogene Kombination von Elementen des ersten Arbeitsmarktes (z. B. Termindruck) und Elementen sozialer Settings (z. B. Förderprozesse) die soziale Anerkennung fördern und Wertschätzung sowie das Gefühl des Gebrauchtwerdens erfahrbar machen. Zudem verstärkt sich die soziale Vernetzung, sinken allfällige Suchtrisiken, eröffnen sich neue berufliche Perspektiven und es verbessert sich die materielle Situation. Darüber hinaus wird die berufliche und persönliche Qualifizierung der Betroffenen gestärkt.

Schlussfolgerungen Basierend auf den Studienergebnissen lassen sich folgende Hinweise auf Handlungsmöglichkeiten geben:

Professionelle betriebswirtschaftliche Unternehmensführung der USBI Eine professionelle betriebswirtschaftliche Führung der USBI ist unabdingbar. Diese kann mitunter mit einfachen Massnahmen erreicht werden, z. B. mit einem Kennzahlencockpit für die betriebsinterne Steuerung, das sich auf vorhandene interne Daten stützt und somit keinen zusätzlichen administrativen Aufwand für die USBI erzeugt. Darüber hinaus wird eine einheitlich Rechnungslegung (z. B. Swiss GAAP FER 21) empfohlen, die eine hohe Transparenz und Vergleichbarkeit erzeugt und zu einer guten Aussenwirkung beiträgt (Zöbeli/Schmitz 2015, S. 20).

Zielgruppenspezifische und einheitliche ­Leistungsvereinbarungen zwischen USBI und den Sozialwerken Oftmals bestehen unklare bis keine Leistungsvereinbarungen zwischen USBI und den Sozialwerken. Bestehende Leistungsvereinbarungen werden der doppelten Zielsetzung der USBI oft nicht gerecht. Zudem zeigen sich unterschiedliche Rahmenbedingungen für die Verwendung allfälliger finanzieller Überschüsse. Entsprechend werden zielgruppenspezifische, klare und einheitliche Leistungsvereinbarungen empfohlen. Zu beachten ist dabei ein ausgewogener Grad zwischen klaren Leistungsvereinbarungen und einem gleichzeitig effektiven Tool für USBI zur Kontrolle der Zielerreichung.

Entwicklung von Instrumenten zur ­Steuerung von unternehmens- und klientenbezogenen Erfolgsfaktoren Die Studie zeigt, dass unternehmensbezogene und klientenbezogene Erfolgsfaktoren miteinander verzahnt sein müssen, um eine armutspräventive Wirkung zu erzielen. Es besteht aber im Hinblick auf diesen Sachverhalt ein «Instrumentendefizit» für hybride Unternehmensformen wie sie USBI darstellen. Um sowohl Rentabilität zu gewährleisten als auch die sozialen Zielsetzungen wie einen wertschätzenden Umgang mit den Klienten und Klientinnen und deren soziale und berufliche Befähigung/Stärkung zu erreichen, bedarf es einer systematischen Leistungs- und Wirkungsüberprüfung, die der hybriden Unternehmensform der USBI gerecht wird.

Im Rahmen der vorgestellten Studie liessen sich erstmals Erfolgsfaktoren für USBI identifizieren. Damit konnte ein wichtiger Beitrag an die Erforschung und Praxis hybrider Organisationen geleistet werden. Eine besondere Erkenntnis dabei ist, wie eng und unmittelbar bestimmte Erfolgsfaktoren aufeinander bezogen sind und wie diese sowohl zum unternehmerischen Erfolg als auch zum Integrationserfolg beitragen. Mit der Studie ist es schliesslich gelungen, den Leistungsfinanzierern (IV, ALV, SH) und den Leistungsträgern (USBI) eine Grundlage für zukünftige Diskussionen hinsichtlich des Potenzials von USBI in ihrer Bedeutung für die Armutsbekämpfung und -prävention zur Verfügung zu stellen.

M.A., M.Sc., Prof. am Institut Beratung, Coaching und Sozialmanagement, Hochschule für Soziale Arbeit, Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW).
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PhD, Dozent und Forscher, Departement für Betriebswirtschaft, Gesundheit und Soziales ­(Dipartimento economia aziendale, sanità e sociale, DEASS), Fachhochschule Südschweiz (SUPSI).
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Dr. oec., Forschungsfeldleiterin «Innovation & Accounting/Auditing», Institut für Management & Innovation (IMI), Fernfachhochschule Schweiz (FFHS).
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