Autismus-Spektrum-Störungen: der lange Weg bis zur Diagnose

Zwei Mütter erzählen, was es bedeutet, ein autistisches Kind durchs Leben zu begleiten. Ihre Geschichten zeigen, wie aufreibend und langwierig nur schon der Weg bis zur Diagnose sein kann – und sie bestätigen die Dringlichkeit und Relevanz einer frühen Diagnose, der intensiven Frühintervention sowie der sorgfältigen Information und Begleitung der betroffenen Familien.
Suzanne Schär
  |  07. Juni 2019
  • Behinderung
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Die ersten Lebensjahre mit einem Kind sind intensiv. Eltern und Kinder müssen sich aneinander gewöhnen und allmählich eine Beziehung aufbauen. Das Kind teilt sich mit; die Eltern lernen, die Bedürfnisse ihres Kindes zu erfassen und darauf zu antworten. Die Interaktion und Kommunikation zwischen Eltern und Kind gewinnt an Selbstverständlichkeit und Sicherheit. Im Austausch mit seiner Umgebung beginnt es, seine Persönlichkeit zu entwickeln.

Aufgrund der Schwierigkeiten, die Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS) in der Kommunikation und sozialen Interaktion bekunden, ist es für Familien mit einem betroffenen Kind eine grosse Herausforderung, ihre Kinder durch die formativen Jahre zu begleiten. Gerade in den ersten Jahren ist es nicht einfach, normales von auffälligem Verhalten zu unterscheiden und im Alltag erahnte, gefühlte oder auch beobachtete Auffälligkeiten so zu beschreiben, dass sie sich durch Fachleute richtig einordnen lassen. Aufs äusserste gefordert, sind die betroffenen Familien verunsichert und sehr verletzlich.

Zwei Mütter zeichnen den Lebensweg ihrer Jungen bis zur ASS-Diagnose nach. Sie schildern, wie sie und ihre Familien den Alltag meistern. Ihre Geschichten sind verworren, hindernisreich und langwierig. Im Narrativ hat jede Entscheidung und jede Unterlassung ihre besondere Bedeutung, die den Weg stets von neuem in eine wieder andere Richtung lenkt. Beide Geschichten sind einmalig. Dennoch haben sie Berührungspunkte, die andeuten, wo die Herausforderungen liegen, die angegangen werden müssen, um die Integration von ASS-Betroffenen zu verbessern.

Philippe Philippe (*2008, 10-jährig) lebt zusammen mit seiner zwei Jahre älteren Schwester in einem finanziell gut gestellten Haushalt mit klassischer Aufgabenteilung. Seine Mutter ist Hausfrau, sein Vater führt ein KMU. Die Schwangerschaft mit Philippe ist geprägt von widersprüchlicher Pränataldiagnostik im ersten Trimester, von der Angst, dass mit dem Kind etwas nicht in Ordnung sei und einem Streptokokkeninfekt der Mutter, der erst nach vierzehn Tagen als solcher erkannt und behandelt wird. Nach der Geburt schreit Philippe viel, ist unruhig. Die Eltern können ihm keine Geborgenheit schenken. Der Kinderarzt stellt Probleme mit dem Verdauungssystem fest, wie sie bei Neugeborenen häufig vermutet werden und die sich, mit Hausmitteln behandelt, nach einigen Wochen oder Monaten in der Regel ergeben. Die Mutter kann der ärztlichen Einschätzung nicht folgen und begibt sich mit Philippe für eingehendere Abklärungen ins Unispital. Statt der gewünschten gastro­enterologischen Untersuchung erhält sie den Bescheid, dass ihr Kind schwerstbehindert sei. Nach diversen genetischen und neurologischen Tests, die keinen Verdacht der Ärzte zu bestätigten vermochten, werden die Eltern mit der Diagnose Gestaltsauffälligkeiten unklarer Ursache nach Hause geschickt. Das Spital empfiehlt ihnen, Philippe aufgrund eines Geburtsgebrechens bei der IV anzumelden.

Nach einem dermatologischen Eingriff bei der Schwester an einem zweiten Unispital wird der Kinderchirurg 2011 zufällig auf den unruhigen Philippe aufmerksam. Der Pädia­ter veranlasst eine Darmbiopsie und entfernt nach der Diagnose Morbus Hirschsprung 40 Zentimeter inaktiven Darm. Ein Jahr darauf wird auch noch eine Urethralklappe operiert, die bewirkt hat, dass Philippes Blase stets prall gefüllt war. Die Mutter schreibt einen Teil der Entwicklungsverzögerung den vielen gesundheitlichen Schwierigkeiten zu, die die anderen denkbaren Ursachen wie beispielsweise ASS in den Hintergrund treten lassen würden.

2013 empfiehlt der Kindergärtner an der heilpädagogischen Schule, an der Philippe den Kindergarten besucht, ihn auf Autismus abzuklären. Philippe wird einem auf ASS spezialisierten Kinderpsychiater vorgestellt, der auch nach mehrmaliger Nachfrage der Eltern – und für diese bis heute nicht nachvollziehbar – nicht bereit ist, ihnen eine Diagnose mitzuteilen. Erst zwei Jahre nach den Untersuchungen erhalten die Eltern ein Schreiben des zweiten Unispitals, das festhält, dass bei Philippe zweifellos frühkindlicher Autismus zu diagnostizieren sei.

Mittlerweile sechsjährig, verbringt Philippe 2014 zweimal gut fünf Wochen im Reha-Zentrum Affoltern am Albis, um die Kontrolle seiner Ausscheidungen zu erlernen. Erstmals erhält er ein auf seine Bedürfnisse abgestimmtes vielfältiges Therapieprogramm. Die Bereitschaft, auf seine Lerndisposition einzugehen, beeinflusst Philippes Kommunikationsfähigkeiten und Interaktionsbereitschaft merklich.

Da die heilpädagogische Schule keine Ressourcen für einen individuellen Förderrahmen hat, wünschen die Eltern die Prüfung schulischer Alternativen. Der kantonale jugendpsychiatrische Dienst gibt den Eltern hierfür zwar grünes Licht, teilt diesen aber auch mit, dass er sie bei der Suche nach dem geeigneten Förderrahmen nicht unterstützen kann. Der Kanton habe keine Mittel, um Kinder mit frühkindlichem Autismus speziell zu fördern, wird den Eltern im Gespräch mitgeteilt. Letztlich bleibt es den Eltern überlassen, mögliche Schulen ausfindig zu machen und anzuschauen. Schliesslich finden sie einen Platz in einer staatlich anerkannten Blindenschule, die wegen der erhöhten Koinzidenz von Sehbehinderung und Autismus auch eine ASS-spezifische Wahrnehmungsschule und eine Aufbauklasse für Kinder mit Aspergersyndrom führt.

Seit 2015 ist Philippe in einer Wohngruppe des Internats, wo er auch zweimal in der Woche übernachtet. Er macht Fortschritte und kann klar gestellte Aufgaben gut erledigen. Philippe versteht seine Umgebung, spricht einzelne Worte und verständigt sich mithilfe einer Gebärdensprache. Routine und Kontinuität der Betreuungspersonen sind wichtig. Wenn diese gebrochen werden, wird Philippe aggressiv, beisst und hat Schreianfälle. Statt der ärztlich verordneten vier Stunden erhält er eine halbe Stunde Logopädie pro Woche. Für mehr stehen keine öffentlichen Gelder zur Verfügung.

Ein Platz in der Gesellschaft Philippe geniesst das Zusammensein mit der Familie. Die drei Tage, die er am Internat verbringt, kommen v. a. der älteren Schwester zugute. An den Wochenenden gehört ein Tag der Familie. Am anderen Tag unternimmt der Vater etwas mit Philippe.

Für die Zukunft erhofft sich die Mutter, dass auch Phi­lippe als Erwachsener sein Nest verlassen und unabhängig von der Familie wohnen kann; begleitet durch eine liebevolle Betreuungsperson, die ihn versteht und ihm hilft, den Alltag zu meistern. Am liebsten würde die Mutter eine Schule einrichten, die Kinder wie Philippe umfassend, interdisziplinär und individuell, mit besonderem Augenmerk auf eine konstante Begleitung betreut und fördert.

Krys Krys (*2010, 8-jährig) lebt zusammen mit seiner vierzehnjährigen Schwester und seiner alleinerziehenden Mutter in einem zweisprachigen Kanton. Die finanzielle Lage des Haushalts ist angespannt, die Mutter arbeitet Teilzeit und die Familie erhält Sozialhilfe. In seinen ersten Lebensjahren entwickelt sich Krys normal. Schon früh wurde die Mutter von Aussenstehenden auf Krys’ überdurchschnittliche sprachliche Artikulationsfähigkeit hingewiesen.

In der Krippe sondert sich Krys häufig von den anderen Kindern ab. Im Kindergarten akzentuieren sich die Verhaltensauffälligkeiten. Krys hat Mühe, sich in die Gemeinschaft einzufügen, akzeptiert keine Autorität, stösst und verängstigt die anderen Kinder. Für sein Verhalten werden Erziehungsdefizite einer alleinerziehenden, überforderten Mutter verantwortlich gemacht. Die Kindergärtnerin ist kurz vor der Pensionierung und hat keine Geduld. Nach sechs Monaten regen die Pädagogen kognitive Tests an. Krys wird eine Intelligenz leicht über dem Durchschnitt attestiert, ein Aufmerksamkeitsdefizit wird ausgeschlossen.

Ab 2017 bieten die kommunalen Schulbehörden die Mutter im Durchschnitt alle drei Monate zu Gesprächen über Krys’ störendes Verhalten auf. Meistens sieht diese sich allein fünf Schulvertretern gegenüber. Nachdem die Schule Krys’ Schulpensum in der Regelklasse gegen den Willen der Mutter um einige Stunden zugunsten eines Sondersettings reduziert hat, zieht die Mutter einen von Bekannten empfohlenen Kinderpsychiater bei, der zuhanden der Schule mögliche Ansätze skizziert, wie ein Kind wie Krys, das nicht der Norm entspricht, im Schulalltag unterstützt werden kann. Im gesamten Bezirk gibt es eine einzige Spezialklasse für sechs Kinder mit besonderen schulischen Bedürfnissen.

Auf der Basis von Unterlagen der Förderlehrerin stellt der von der Mutter beigezogene Kinderpsychiater im Sommer 2017 die Diagnose Aufmerksamkeitsdefizit, Koordinationsstörungen (Dyspraxie) und ein touretteähnliches Syndrom. Das Gutachten verschickt er nur via E-Mail. Schockiert googelt die Mutter die Diagnosen, erkennt darin ihren Sohn aber nicht und vermutet eine Absprache zwischen Kinderpsychiater und Schule hinter ihrem Rücken.

Auf Betreiben seiner Mutter erhält Krys im Herbst 2017 einen Platz in der Klinikschule der universitären psychiatrischen Dienste. Mündlich vereinbaren Mutter und Verantwortliche das Ziel, Krys entweder mit der nötigen Unterstützung wieder in die Regelschule zu integrieren oder allenfalls eine valable schulische Alternative vorzubereiten. Krys erhält eine zweite Diagnose: Aufmerksamkeitsdefizit, Impulsivität, emotionale Instabilität, begleitet von Unruhe und unkontrollierten Gewaltausbrüchen.

Bis Ende 2017 erzielt Krys keine Fortschritte. Aufgrund der vielen Wechsel unter den Schülern fehlen Krys die nötige Beständigkeit und Routine. Sein Unterricht wird reduziert. Gegen ihre innere Überzeugung stimmt die Mutter einer Medikation zu. Krys wird zwar gefügiger, beginnt aber auch das Bett zu nässen und die Medikamente belasten ihn körperlich.

Im Frühling 2018 wird Krys eine Schreibschwäche attestiert, eine weitere pädopsychiatrische Untersuchung taxiert ihn als «enfant dans la norme». Da Krys zuviel Betreuung verlangt und das Schulpersonal überdurchschnittlich absorbiert, schlägt die Leitung der Klinikschule eine erneute Medikation mit Neuroleptika und Ritalin bei reduziertem Unterricht in der Klinikschule oder ein Time-out auf einem Bauernbetrieb vor. Der Vorschlag der Mutter, die Schulstunden zu reduzieren, aber auf die Medikation zu verzichten, wird abgelehnt.

Die Mutter ist schliesslich mit einem Time-out einverstanden, aber nicht in einem Internat, und die Klinikschule attestiert in einem Arztzeugnis, dass Krys aufgrund präpsychotischer Störungen und Entwicklungsschwierigkeiten bis Januar 2018 nicht schulfähig sei. Die Mutter wird mit den Organisations- und Finanzierungsfragen allein gelassen. Sie sucht im Internet, per Telefon, klappert Institutionen ab und stellt fest, dass es sich bei allen Angeboten entweder um Internate handelt oder die Institutionen auf Deutsch unterrichten bzw. nicht seinen Bedürfnissen entsprechen.

Dank einer Überbrückungsfinanzierung von Pro Juventute und Pro Infirmis kann Krys das Time-out schliesslich auf einem Bauern­betrieb verbringen, der mit Pferden arbeitet. Zwei Tage verbringt er dort, die restlichen Tage zu Hause, wo er von seiner Mutter geschult wird. Durch einen Zufall hat diese eine Methode entdeckt, mit der Krys nun auch lesen lernt. Parallel dazu sucht die Mutter nach einer schulischen Langzeitlösung für Krys und einer Institution, die eine belastbare Diagnose stellt, die es ermöglicht, Krys endlich nach seinen Bedürfnissen zu fördern.

Im September 2018 – Krys ist mittlerweile achtjährig – empfiehlt eine der privaten Institutionen, die die Mutter kontaktiert hat, Krys bei der IV anzumelden. Die von der IV verlangte Abklärung attestiert Krys eine leichte ASS ohne Intelligenzminderung, begleitet von einer Schreibschwäche. Aufgrund der Diagnose spricht die IV Krys eine Hilflosenentschädigung leichten Grades zu.

«Ich weiss, dass Du für mich kämpfst» Krys bekommt mit, wie viel Energie seine Mutter darauf verwendet, die richtige Förderung zu finden. Dabei kommt seine Schwester oftmals zu kurz, sie muss ihre Bedürfnisse hintenanstellen.

Krys’ schulische Zukunft steht in der Schwebe. Im Dezember 2018 erlauben die zuständigen Behörden seine Sonderschulung nach dem kantonalen Volksschulgesetz. Krys ist auf der Warteliste einer auf ASS spezialisierten Schule in einem benachbarten Kanton, wo er auf Französisch unterrichtet werden könnte.

Aufgrund des Bundesratsberichts vom Herbst 2018, der Handlungsschwerpunkte für die frühe Förderung und bessere Integration von Menschen mit ASS nennt, schöpft Krys’ Mutter Hoffnung, dass sich die Situation von Kindern mit ASS merklich verbessern lässt. Ausgehend von ihren Erfahrungen trifft sie derzeit Abklärungen, um in ihrer Sprach­region eine Tagesschule aufzubauen, die Kinder wie Krys mit besonderen Bedürfnissen, die im normalen Schulbetrieb nicht berücksichtigt werden können, durch die obligatorische Schulzeit begleiten (nähere Auskünfte zum Schulprojekt «Champfahy» bei patsoleil88@bluewin.ch).

Schwachstellen und eine Zukunftsvision Die Geschichten von Philippe und Krys sind zwei zufällig ausgewählte Beispiele unter vielen. Sie zeigen, wie Familien die Hilf- und Ratlosigkeit der Situation ihrer Kinder gegenüber bis hin zur Erschöpfung erfahren. Trotz grosser Unterschiede weisen die Erzählungen Gemeinsamkeiten auf, die auf Schwachstellen bei der Begleitung von Kindern mit ASS und ihren Familien hinweisen, die sich mit der nötigen Umsicht wahrscheinlich mit vertretbarem Aufwand angehen liessen.

Der eigentliche Knackpunkt in Philippes und Krys’ Geschichten war nicht – wie man es vielleicht vermuten würde – die Anerkennung des Geburtsgebrechens bzw. der ASS durch die IV, sondern der langwierige Weg bis zur belastbaren Diagnose. Denn erst diese ermöglichte es den Eltern, die Ressourcen der IV zusammen mit anderen Mitteln und Förderinstrumenten so zu koordinieren, dass sie den individuellen Bedürfnissen ihres Kindes annähernd genügten.

Auf diesem Weg erlebten beide Familien Situationen, in denen sie den Dialog auf Augenhöhe vermissten. Die Familien fühlten sich oft nicht ernst genommen und ungerecht behandelt. Obschon sie wussten, dass ihren Kindern gewisse Rechte zustehen, fanden sie sich in der Rolle von Bittstellern wieder. Schlecht informiert und allein einer Fachperson gegenüber, die oft auch noch eine Behörde vertrat, hatten die Familien Mühe, ihr Recht einzufordern. Diese Hilfslosigkeit war für sie sehr belastend, verunsichernd und destabilisierend. Das Gefühl von Einsamkeit und Ungerechtigkeit ist stark.

Aufgrund ihrer Recherchen mutmassen beide Mütter, dass Kinder mit ähnlichen Ansprüchen je nach Wohnort, Region oder Kanton unterschiedliche Bedingungen vorfinden. Krys’ Mutter vermutet, dass es nur Sonderschulangebote für Kinder mit frühkindlichem Autismus, oder aber in der falschen Sprache gibt. Philippes Mutter wiederum sieht die staatliche Förderung von Kindern mit ASS auf Aspergerbetroffene eingegrenzt.

Die Familien beurteilen die Vernetzung der Experten, Fachstellen und Behörden als ungenügend. Die Informationen, die sie erhielten, waren lückenhaft, teilweise gar widersprüchlich und sie mussten mühevoll zusammengesucht und erfragt werden. Die Koordinationsdefizite und der Mangel an brauchbaren Informationen erschwerten den Familien die Orientierung. Sie wähnten sich auf einem nie enden wollenden Spiessrutenlauf, der mit Sackgassen und Umwegen gespickt war. Bis die Kinder bei der kompetenten Stelle landeten und eine belastbare Diagnose erhielten, ging viel wertvolle Zeit verloren. Alle waren ständig unter Zeitdruck, gleichzeitig zogen sich die verschiedenen Abklärungen hin. Mehr als einmal entschuldigten involvierte Akteure Untätigkeit, schleppende Entscheidungen oder unbefriedigende Lösungen mit ungenügenden finanziellen Mitteln. Fehlende Ressourcen wurden auch herangezogen, um zu begründen, weshalb trotz gesetzlich verankertem Bildungsanspruch auch von Kindern mit Behinderungen und besonderem Förderbedarf keine auf das Kind ausgerichtete Lösung gefunden werden konnte und die Eltern sich selbst um das geeignete Setting bemühen mussten.

In letzter Konsequenz vermissen beide Familien eine unabhängige, gut informierte Stelle, die – orientiert an den spezifischen Bedürfnissen des Kindes – ihren Austausch mit den verschiedenen Akteuren im Gesundheits-, Bildungs- und Sozialbereich langfristig begleiten und koordinieren würde. Dabei wären sie darauf angewiesen, dass ihr Umfeld ihnen offen und möglichst vorurteilfsfrei begegnet und ihre Sorgen und Anliegen ernst nimmt. Damit verbinden sie auch die Hoffnung, dass nicht nur die Schwächen, Defizite und Schwierigkeiten der begleiteten Kinder diskutiert und angegangen werden, sondern dass auch die Chancen und die Bereicherung gesehen werden, die sich aus der Gemeinschaft mit Menschen ausserhalb der Norm ergeben. Hier läge der Kern einer Gesellschaft, die bereit wäre, Beeinträchtigungen wie ASS als Teil der gesellschaftlichen Realität anzunehmen, sodass Betroffene im Rahmen ihrer Möglichkeiten an ihr teilhaben können. Erst dann könnte die soziale Integration von Menschen mit ASS als erreicht gelten.

Lic. phil. hist., Chefredaktorin «Soziale Sicherheit» (Februar 2013 bis März 2022).
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