Mutterschaftsurlaub: Erwerbsunterbrüche vor 
der Geburt

Der Bundesrat kommt gestützt auf eine neue Studie zum Schluss, dass Erwerbsunterbrüche 
während der Schwangerschaft finanziell gut abgedeckt sind. Er sieht deshalb keinen ­Handlungsbedarf für einen bezahlten Mutterschaftsurlaub gegen Ende der Schwangerschaft.
Andrea Künzli
  |  07. September 2018
  • Erwerbsersatzordnung
  • Familie
  • Gleichstellung

Ein Postulat von Ständerätin Maury Pasquier (15.3793) beauftragte den Bundesrat, einen Bericht über Erwerbsunterbrüche schwangerer Frauen vorzulegen. Der Bericht soll Auskunft über die Häufigkeit und die finanzielle Abgeltung von Erwerbsunterbrüchen während der Schwangerschaft geben und zeigen, ob Handlungsbedarf für einen vorgeburtlichen Mutterschaftsurlaub besteht. Hierzu gab das BSV eine Studie in Auftrag (Rudin et al. 2018). Diese fragte danach, ob die Mütter ihre Erwerbstätigkeit vor der Geburt niederlegen mussten, aus welchen Gründen und wie lange ein allfälliger Erwerbsunterbruch erfolgte und welches Einkommen oder welche Entschädigung sie dabei bezogen. Die Antworten dazu lieferte eine Befragung von 3575 Betrieben und 2809 Frauen, die 2016 ein Kind geboren und eine Mutterschaftsentschädigung der Erwerbsersatzordnung bezogen hatten.

Häufigkeit, Gründe und Dauer der Erwerbs­unterbrüche Die Studie zeigt, dass Erwerbsunterbrüche während der Schwangerschaft weit verbreitet sind. So kam es in rund 80 Prozent der Fälle zu Erwerbsunterbrüchen während der gesamten Schwangerschaft, in den letzten zwei Wochen vor der Geburt waren knapp 70 Prozent der Frauen krankgeschrieben. Etwa 16 Prozent der Frauen arbeiteten (fast) bis zur Niederkunft. Die Erwerbsunterbrüche waren in der Regel gesundheitlich bedingt und nicht Folge von gefährlichen oder beschwerlichen Arbeiten. Die Unterbrüche dauerten durchschnittlich sechs Wochen.

Mutterschaftsurlaub vor der Geburt Die Mindestregelung für den bezahlten Mutterschaftsurlaub wird vom Bundesrecht vorgegeben. Sie sieht vor, dass der bezahlte Mutterschaftsurlaub frühestens mit der Geburt beginnt und 14 Wochen dauert (Art. 16b Abs. 1 EOG i.V.m. Art. 329 f OR).

Je nachdem, für welchen Arbeitgeber oder in welcher Branche die Schwangere arbeitet, hat sie aber die Möglichkeit, ihren Mutterschaftsurlaub bereits vor der Geburt anzutreten. So zeigt die Studie, dass der Bund, die Kantone AG, AR, BE, BS, FR, JU, LU, NE, SH, SZ, TG, TI, VD, VS, ZG, ZH sowie gewisse Gesamtarbeitsverträge (GAV) und Personalreglemente einen bezahlten vorgeburtlichen Mutterschaftsurlaub vorsehen. In der Regel beträgt dieser zwei Wochen und wird mit mindestens 80 Prozent des bisherigen Lohns entschädigt. Dadurch verlängert sich der Mutterschaftsurlaub dieser Frauen um die vorgeburtlich gewährten, bezahlten Urlaubstage und dauert insgesamt länger als 14 Wochen. Die Studie zeigt allerdings auch, dass von dieser Möglichkeit nur selten Gebrauch gemacht wird. Gerade ein Drittel der Frauen, die einen vorgeburtlichen Urlaub hätten beziehen können, nahmen ihn in Anspruch und bei einem Viertel der Unternehmen, die einen solchen anbieten, wurde er genutzt.

Arbeitsverhinderung während der Schwangerschaft Es können gesundheitliche oder betriebliche Gründe für eine Arbeitsverhinderung verantwortlich sein. Liegen gesundheitliche Gründe vor, darf die Schwangere ihre Arbeit jederzeit ohne Arztzeugnis einstellen (Art. 35a Abs. 2 ArG). In diesem Fall ist der Arbeitgeber nicht zur Lohnfortzahlung verpflichtet. Legt sie ein Arztzeugnis vor, muss er den Lohn aber wie bei Krankheit für eine beschränkte Zeit weiter ausrichten, sofern das Arbeitsverhältnis für mindestens drei Monate eingegangen wurde (Art. 324a OR). Die Dauer der Lohnfortzahlung liegt zwischen drei Wochen und sechs Monaten – je nach Dauer des Anstellungsverhältnisses. Je länger eine Frau bereits im selben Betrieb angestellt ist, desto seltener kommt es zu Einkommenseinbussen, da sich mit der Anzahl der Dienstjahre auch die Dauer der Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers verlängert. Hierzu haben die Arbeitgeber in der Regel eine Krankentaggeldversicherung abgeschlossen, die nach einer Wartefrist von üblicherweise 30 Tagen während höchstens 720 Tagen mindestens 80 Prozent des bisherigen Lohns abdeckt.

Betriebliche Gründe für eine Arbeitsverhinderung können in gefährlichen und beschwerlichen Arbeiten (Bewegen schwerer Lasten, Arbeiten bei Kälte, Hitze, Nässe, unter schädlichen Strahlen usw.) liegen. Diese dürfen von schwangeren Frauen nur dann verrichtet werden, wenn auf Grund einer Risikobeurteilung feststeht, dass keine gesundheitliche Belastung für Mutter und Kind vorliegt oder eine solche durch geeignete Schutzmassnahmen ausgeschlossen werden kann. Der Arbeitgeber muss der Schwangeren, die eine beschwerliche oder gefährliche Tätigkeit verrichtet, nach Möglichkeit eine gleichwertige Ersatzarbeit ohne Risiken anbieten. Ist er hierzu nicht imstande, hat sie das Recht, der Arbeit fernzubleiben und erhält 80 Prozent des bisherigen Lohnes. Falls für einen Betrieb, in dem gefährliche oder beschwerliche Arbeit verrichtet wird, keine oder eine ungenügende Risikobeurteilung vorliegt, ist es verboten, einer schwangeren Frau solche Aufgaben zu übertragen. In diesem Fall spricht der behandelnde Arzt ein Beschäftigungsverbot aus, währenddessen der Arbeitgeber den Lohn im Umfang von 80 Prozent weiter auszurichten hat ohne, dass er dabei auf die Krankentaggeldversicherung zurückgreifen könnte.

Finanzielle Abdeckung der Erwerbsunter­brüche Im Rahmen der Studie fällt positiv auf, dass die Mehrheit der Frauen bei einer Absenz auf blosse Anzeige hin 80 bis 100 Prozent des Lohnes erhielt, obwohl der Arbeitgeber nicht zur Lohnfortzahlung verpflichtet ist, wenn die Schwangere kein Arztzeugnis vorlegt. Bei einem Beschäftigungsverbot kamen die meisten Betriebe ihrer Lohnfortzahlungspflicht nach.

Bei einer gesundheitlich bedingten Absenz, die durch ein Arztzeugnis belegt wurde (Art. 324a OR), erhielten 67 Prozent der Frauen weiterhin den vollen und 28 Prozent der Frauen 80 Prozent des Lohns. Somit bezogen rund 95 Prozent der befragten Frauen während gesundheitlich begründeter Absenzen in der Schwangerschaft zwischen 80 und 100 Prozent ihres Lohns und lediglich in fünf Prozent der Fälle kam es zu einer Einkommenslücke oder -reduktion.

Gemäss der Studie können freiwillige Reduktionen des Arbeitspensums, Stellenwechsel, auslaufende Verträge, Phasen von Arbeitslosigkeit sowie das Wegfallen von Zulagen – beispielsweise, weil Nachtarbeit entfällt – zu Einkommensreduktionen. Einkommenslücken dagegen ergaben sich bei freiwilliger Aufgabe der Erwerbstätigkeit, unbezahltem Urlaub, wenn die Schwangere der Arbeit auf blosse Anzeige hin fernblieb oder selten, wenn der Arbeitgeber bei einem Beschäftigungsverbot den Lohn nicht bezahlte.

Einkommenslücken können insbesondere bei arbeitslosen Schwangeren entstehen: Bei gesundheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit gilt die arbeitslose Frau als nicht vermittelbar. Der Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung beschränkt sich deshalb auf 30 Taggelder. Zudem entfällt der Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung, wenn die Mutter vor der Geburt aus der Arbeitslosenversicherung ausgesteuert wurde.

Die Studie kommt im Gegensatz zum Bericht des Bundesrates zum Schluss, dass ein Viertel der befragten Frauen Einkommenslücken und/oder -reduktionen erlitten hatte. Darin sind allerdings auch Schwangere erfasst, die während der Arbeitsverhinderung 80 oder 90 Prozent ihres bisherigen Lohnes erhielten. Aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht liegt in solchen Fällen aber keine Einkommenseinbusse vor, weil die Sozialversicherungen in der Regel nur 80 Prozent des Lohnes entschädigen.

Keine wesentliche Verbesserung für die ­Mütter Von rund 95 Prozent der befragten Frauen, die während der Dauer ihrer gesundheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit zwischen 80 und 100 Prozent ihres Lohnes erhielten, bezogen ungefähr 70 Prozent weiterhin den vollen Lohn. Die finanzielle Situation dieser Frauen könnte sich mit der Einführung eines vorgeburtlichen Mutterschaftsurlaubes sogar verschlechtern. Je nachdem, wie die Arbeitgeber sich in dieser Frage positionieren, würden die Mütter künftig nicht mehr in jedem Fall den vollen, sondern nur noch 80 Prozent ihres Lohnes erhalten, weil über die EO lediglich 80 Prozent des Lohnes entschädigt werden (maximal 196 Franken pro Tag). Andererseits würde sich die finanzielle Situation der Frauen, die heute schon 80 Prozent des Lohnes erhalten, nicht verbessern, weil die Lohnfortzahlung in diesem Umfang sichergestellt ist.

In erster Linie Entlastung für die Arbeit­geber Angesichts des finanziellen Risikos, das die Arbeitgeber aufgrund der Wartefrist für die Krankentaggeldversicherung und wegen der Lohnfortzahlungspflicht im Falle eines ärztlichen Beschäftigungsverbots tragen, würde ein über die EO finanzierter Mutterschaftsurlaub vor der Geburt in erster Linie die Arbeitgeber entlasten. Im Rahmen der Befragung monierten diese denn auch vor allem den zusätzlichen internen Personalaufwand (andere Mitarbeitende müssen mehr Arbeiten übernehmen, Neuanstellungen) und insbesondere die zusätzlichen Lohnkosten.

Bessere Planbarkeit der Arbeit Mit einem vorgeburtlichen Mutterschaftsurlaub, der sich am errechneten Geburtstermin orientiert, wäre frühzeitig bekannt, ab wann die Schwangere nicht mehr arbeitet. Dadurch liesse sich in einem gewissen Mass die Planungssicherheit sowohl für die Mütter als auch für die Betriebe verbessern. Allerdings können sich immer unvorhergesehene Situationen ergeben. Denn nicht selten kommt es bereits in den ersten sieben Monaten der Schwangerschaft zu gesundheitsbedingten Arbeitsabsenzen.

Nur fünf Prozent der Befragten haben weniger als 80 Prozent des Lohns oder gar keinen Lohn erhalten. Einkommens­einbussen und -reduktionen betreffen somit eine Minderheit der Frauen, die zudem einen besonderen Status haben (selbstständig erwerbstätige Frauen, kurze Dauer des Arbeitsverhältnisses vor der Geburt, Arbeitslosigkeit). Letztlich dürfte damit die Anzahl Frauen, die aus finanzieller Sicht von einem vorgeburtlichen Mutterschaftsurlaub profitieren könnte, sehr klein sein.

Ein Drittel der befragten Mütter erachtet einen vorgeburtlichen Urlaub als unnötig, weil die bestehenden Regelungen ihres Erachtens ausreichen. Jene, die ihn befürworten, tun dies aus organisatorischen und nicht aus finanziellen Gründen. Die befragten Frauen haben teilweise explizit darauf hingewiesen, dass es ihnen wichtig sei, selbst zu bestimmen, ob sie bis zur Geburt arbeiten oder nicht.

Ein allfälliges Diskriminierungsrisiko bei der Rekrutierung liesse sich durch einen bezahlten Mutterschaftsurlaub vor der Geburt nicht vermeiden. Denn nicht selten kommt es bereits in den ersten sieben Monaten der Schwangerschaft zu gesundheitsbedingten Arbeitsabsenzen, wohingegen ein vorgeburtlicher bezahlter Urlaub lediglich die letzten Wochen vor der Geburt betreffen würde.

Es zeigt sich somit, dass schwangerschaftsbedingte Erwerbsunterbrüche ausreichend abgedeckt sind und der Lohnersatz via Taggeld teilweise sogar höher ist als eine Mutterschaftsentschädigung im Rahmen der EO. Die finanzielle Absicherung dieser Frauen könnte sich damit gar verschlechtern.

Aus diesen Gründen sieht der Bundesrat keinen politischen Handlungsbedarf für einen vorgeburtlichen Mutterschaftsurlaub. Er befürwortet, dass solche Lösungen von den Sozialpartnern geregelt werden. Angezeigt ist es hingegen, den entschädigten Mutterschaftsurlaub jener Mütter zu verlängern, deren Neugeborenes länger als üblich im Spital bleiben muss. Eine entsprechende Vorlage, die auf die Motion «Länger dauernde Mutterschaftsentschädigung bei längerem Spitalaufenthalt des Neugeborenen» (16.3631) zurückgeht, befindet sich in der Vorbereitung.

Rechtsanwältin MLaw, Leistungen AHV/EO/EL, Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV)
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