«iPunkt+»: Inklusion in den ersten Arbeitsmarkt

Mit dem Projekt iPunkt+ setzt das Unternehmenslabel iPunkt sein Engagement für die­ Inklu­sion von Menschen mit Behinderungen in die Arbeitswelt fort. Doch wofür steht das Plus und wie kann die Inklusion in den ersten Arbeitsmarkt nach dem Ansatz des Labels gefördert werden?
Iris Stucki, Pascal Güntensperger
  |  01. Juni 2018
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Unter Inklusion verstehen wir die selbstverständliche Zugehörigkeit von Menschen mit Behinderungen. Der Weg hin zu ihrer Inklusion in den ersten Arbeitsmarkt besteht aus mehreren Schritten.

Zunächst einmal gilt es, den Blick auf die betroffene Person und ihre Beeinträchtigung zu richten. Behinderung in dieser Perspektive geht mit einem Fokus auf das individuelle Problem und die Möglichkeiten einher, dieses zu kompensieren (Pärli et al. 2009). Im Bereich der Arbeit geht es darum, die Person zu befähigen, am Arbeitsleben teilzunehmen. Dabei kommen beispielsweise individuelle Hilfsmittel oder Rehabilitationsmassnahmen zum Einsatz.

Zur Inklusion gehört jedoch nicht nur ein Blick auf den Ausgleich individueller Probleme, sondern auch auf die gesellschaftlichen Strukturen (Shakespeare 2009). Das Arbeitsumfeld kann Menschen mit Behinderungen daran hindern, ihre Möglichkeiten einzubringen. Barrieren im Arbeitsbereich können sich durch Stufen vor dem Büro oder ein Computerprogramm, das nicht zugänglich ist, ergeben, aber auch durch hohe Erwartungen an Aufgabenvolumen und Flexibilität (Hall/Wilton 2011). Auch fehlendes Commitment der obersten Leitung sowie mangelndes Wissen, Vorurteile oder Ängste von Führungspersonen und Mitarbeitenden können Menschen mit Behinderungen ausgrenzen (Carton/Lee 2013, Robinson 2000, Lewis et al. 2013, von Schrader 2013).

Mit der Befähigung der Menschen mit Behinderung und dem Abbau von Barrieren wird zwar die Grundlage für Inklusion in die Arbeitsumgebung geschaffen, aber noch keine Inklusion erreicht. Vielmehr braucht es auch die Wertschätzung der Unterschiede in dem Sinne, dass Behinderung nicht nur als Bestandteil menschlicher Normalität angesehen, sondern auch als Quelle gesellschaftlicher Vielfalt wertgeschätzt wird (Bielefeldt 2009, S. 7). Auf die Arbeit bezogen heisst dies, dass Menschen mit Behinderungen in einem inklusiven Arbeitsumfeld nicht nur ein offenes Arbeitsumfeld antreffen, sondern sich der Arbeitswelt auch zugehörig fühlen, weil sie einen wertvollen Beitrag leisten.

Inklusive Unternehmenskultur Inklusion in die Arbeitswelt geht einher mit einer inklusiven Unternehmenskultur, in der der spezifische Beitrag des einzelnen geschätzt und ein hohes Zugehörigkeitsgefühl vermittelt wird (Böhm 2014, S. 239). Eine inklusive Unternehmenskultur beinhaltet neben dem Commitment der Unternehmensleitung sowie der Bewusstseinsbildung bei Personalverantwortlichen, Führungspersonen und im Team auch einen barrierefreien Arbeitsplatz. Der Abbau von Barrieren allein aufgrund individueller Bedürfnisse läuft jedoch Gefahr, dass Anpassungen der Arbeitsumgebung eher zufällig und ad hoc erfolgen, nicht aber im Sinne einer grundsätzlichen Bereitschaft zur Inklusion (Kulkarni/Lengnick-Hall 2011, S. 526).

Das Bewusstsein bei den Unternehmen zu fördern, Bar­rieren systematisch anzugehen und Vielfalt wertzuschätzen, das ist der Weg, auf den sich der Verein Impulse vor vier Jahren gemacht hat. Die Kultur in einem Unternehmen ist das Ergebnis historischer und nie abgeschlossener Lernprozesse, die sich aus Interaktionen im und um das Unternehmen ergeben (Schreyögg 2008, S. 385). Soll demnach von aussen ein Kulturwandel angestossen werden, ist es notwendig, Unternehmen langfristig zu begleiten. «Impulse» sieht hierzu im Label iPunkt einen wirkungsvollen Ansatz.

Label iPunkt – mehr als ein Anreizsystem Das Label iPunkt zeichnet Unternehmen im ersten Arbeitsmarkt aus, die Menschen mit Behinderungen oder einer dauerhaften Erkrankung neu anstellen oder weiter beschäftigen. Als Vergabebedingung verlangt «Impulse» die Einhaltung verbindlicher Kriterien, beispielsweise muss das Unternehmen mindestens eine Person mit Behinderung zu Bedingungen des ersten Arbeitsmarkts fest angestellt haben. Als Vergabestelle des Labels fördert der Verein zudem gezielt das Know-how der Labelträger und deren Vernetzung untereinander und mit Organisationen der Arbeitsmarktintegration. Die vierjährige Erprobungsphase von «iPunkt» in der Wirtschaftsregion Nordwestschweiz hat gezeigt, dass der Ansatz des Labels eine positive Auswirkung auf das gegenseitige Vertrauen und die Beziehungen im Netzwerk der «iPunkt»-Unternehmen und der Organisationen der Arbeitsmarktintegration hat. Die gezielte Förderung des Erfahrungsaustauschs und des Wissenstransfers vermochte die gewünschte Bewusstseinsbildung in den begleiteten Unternehmen auszulösen.

«iPunkt+» – hin zu einer inklusiven Unternehmenskultur Mit dem Projekt iPunkt+ sucht «Impulse» als Trägerverein des Labels iPunkt nach einer Erweiterung der Vergabekriterien und Prozesse, die eine inklusive Unternehmenskultur fördern. Ein ausschlaggebender Faktor ist beispielsweise, dass das Unternehmen eine inklusive Teamkultur pflegt: Es ist essentiell, neben dem Kader auch die Mitarbeitenden für die Anstellung von Menschen mit Behinderungen zu gewinnen, weil es die Teams sind, die im Arbeitsalltag die Kultur eines Unternehmens leben. Überdies sind die Arbeitskollegen und -kolleginnen eine wichtige Ressource, wenn es um konkrete Hilfestellungen im Arbeitsalltag geht (Kulkarni/Lengnick-Hall 2011). Die grosse Herausforderung bei der Weiterentwicklung des Labels wird es sein, messbare Kriterien und unterstützende Prozesse für ein inklusives Arbeitsumfeld zu konzipieren.

Im Verlauf des Jahres 2018 wird sich eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe aus Vertreterinnen und Vertretern des bestehenden Labelnetzwerks sowie nationalen und regionalen Organisationen der Entwicklung wirkungsvoller und praxistauglicher Prozesse widmen und förderliche Kriterien benennen. In der Folge wird der weiterentwickelte Ansatz des Labels über drei Jahre in einer Pilotregion erprobt und evaluiert.

Wichtige Erfolgsbedingungen des überarbeiteten Labels sind die unbürokratische Zertifizierung sowie eine hohe Präsenz und gute Wahrnehmung in der Wirtschaft und der Öffentlichkeit der Pilotregion. Um die bestmögliche Wirkung zu erzielen, scheint es auch zentral, Arbeitsmarktintegration als integrativen Prozess zu verstehen: Ausschlaggebend ist der Wille aller Akteure der Arbeitsmarktintegration, Inklusion in die Unternehmen gemeinsam und konsequent zu fördern. Hierfür wird «iPunkt» für das Plus eine Organisationsvorlage erarbeiten, die die Schnittstellen, die Prozesse und die Akteure, die es braucht, um ein inklusives Arbeitsumfeld zu schaffen, modellhaft beschreibt. Dadurch wird die Übernahme des Labels in anderen interessierten Regionen der Schweiz vereinfacht.

  • Literatur
  • Böhm, Stephan A. (2014): «Berufliche Inklusion von Menschen mit Behinderung. Flexible Arbeitsplatzanpassung und die Rolle von Personalabteilung, Führungskräften und Kollegen», in Zeitschrift Führung und Organisa­tion 83, 1, S. 235ff.
  • Von Schrader, Sarah, Malzer; Valerie; Bruyère, Susanne M. (2014): ­«Perspectives on Disability Disclosure: The importance of employer practices and workplace climate», in Employee Responsibilities and Rights Journal 26, 4, 237ff.
  • Carton, John; Lee, Rachel (2013): «Vielfalt als zentrale Unternehmens­philosophie bei Dow Chemicals (Zürich)», in: Böhm, Stephan A. et al. (Hg.); Berufliche Inklusion von Menschen mit Behinderung: Best Practices aus dem ersten Arbeitsmarkt; Berlin: Springer, S. 237ff.
  • Lewis, Ruth; Dobbs, Lynn; Biddle, Paul (2013): «If this wasn’t here I probably wouldn’t be: Disabled workers’ views of employment support», in Disability & Society 28, 8, S. 1089ff.
  • Hall, Edward; Wilton, Robert (2011): «Alternative spaces of “work” and inclusion for disabled people», in Disability & Society 26, 7, S. 867ff.
  • Kulkarni, Mukta; Lengnick-Hall, Mark L. (2011): «Socialization of people with disabilities in the workplace», in Human Resource Management 50, 4, S. 521ff.
  • Bielefeldt, Heiner (2009): Zum Innovationspotenzial der UN-Behindertenrechtskonvention, Berlin: DIMR: www.institut-fuer-menschenrechte.de > Publikationen > Rechte von Menschen mit Behinderungen > Essay No. 5.
  • Schreyögg, Georg (2008): Organisation: Grundlagen moderner Organisa­tionsgestaltung, Wiesbaden: Gabler.
  • Pärli, Kurt; Lichtenauer, Annette; Caplazi, Alexandra (2009): Literatur­­analyse: Integration in die Arbeitswelt durch Gleichstellung. Im Auftrag des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (EBGB); Olten: Fachhochschule Nordwestschweiz.
  • Shakespeare, Tom (2006): «The social model of disability», in: Davis, ­Lennard J. (Hg.) The Disability Studies Reader, Routledge: New York, 197ff.
  • Robinson, Jill (2000): «Access to employment for people with disabilities: Findings of a consumer-led project», in Disability and Rehabilitation 22, 5, S. 246ff.
Dr. admin. publ.; stv. Leiterin des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen, Generalsekretariat EDI.
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Leiter des Labels iPunkt, Impulse.
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