Frühe Förderung in Gemeinden: Potenziale und Herausforderungen

Gemeinden sind wichtige Anlaufstellen für Familien mit Vorschulkindern. Im ­Rahmen des Programms gegen Armut wurden kommunale Angebote und ­Strategien der frühen ­Förderung analysiert, eine Hilfestellung ­entwickelt und Seminare durchgeführt.
Gabriela Felder, Claudia Hametner
  |  21. Dezember 2018
  • Armut
  • Eingliederung

Frühe Förderung ist für die Armutsprävention von zentraler Bedeutung, weil sie wichtige Grundlagen für die weitere Entwicklung in den ersten Lebensjahren legt. Schlechtere Startchancen als ihre Altersgenossen haben v. a. Kinder aus sozial benachteiligten Familien, die aber mit gezielten Massnahmen der frühen Förderung ausgeglichen werden können. Wichtig dabei ist ein anregungsreiches, wertschätzendes Lernumfeld – sowohl zu Hause als auch in familienergänzenden Angeboten.

Gemeinden als zentrale Drehscheibe der ­frühen Förderung Für die Bereitstellung von Angeboten ab der Geburt der Kinder bis zum Eintritt in den Kindergarten liegt die Zuständigkeit vor allem bei den Gemeinden und Städten. Sie sind erste Anlaufstellen und müssen direkt auf die Situationen von armutsbetroffenen, benachteiligten Familien reagieren. In den letzten Jahren hat sich in den Gemeinden viel getan, zahlreiche Projekte wurden lanciert, Strukturen und Angebote ausgebaut. Ein Überblick über das Angebot der frühen Förderung in den Gemeinden und deren strategische Verankerung fehlte bislang.

Der Schweizerische Gemeindeverband (SGV) hat deshalb als Partner des Nationalen Programms gegen Armut gemeinsam mit dem Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) das Projekt «Die Gemeinden als strategische Plattform und Netzwerker der frühen Förderung» realisiert. Ziel war es, die Gemeinden für die frühe Förderung zu sensibilisieren, diesbezügliche Erkenntnisse und Erfahrungen, insbesondere der kleineren und mittleren Gemeinden, abzuholen und sie bei der Entwicklung und Umsetzung von kommunalen Strategien und Konzepten der frühen Förderung zu unterstützen. Übergeordnet verfolgte das Projekt das Ziel, die Chancen­gerechtigkeit für sozial benachteiligte Kinder und ihre Familien in Gemeinden zu fördern. Dazu wurden erstens die Angebotslandschaft, die strategische Verankerung, die Vernetzung sowie der Unterstützungsbedarf der kleineren und mittleren Gemeinden1 in der frühen Förderung erhoben. Zweitens wurde eine Orientierungshilfe mit einer Übersicht über vorliegende Fachgrundlagen und Konzepte der letzten Jahre erstellt (Stern et al. 2018) und drittens wurden die Ergebnisse im Rahmen von regionalen Seminaren vorgestellt (Weber/Willhelm 2018).

Jede zehnte Gemeinde verfügt über Strategie Die Resultate der im Auftrag des SGV von der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit (HSLU) durchgeführten Gemeindebefragung geben erstmals einen Überblick darüber, wie kleinere und mittlere Gemeinden den Vorschulbereich gestalten und wie sie ihn verankert haben, wie sie sich vernetzen, welche Herausforderungen sich ihnen stellen und welchen Unterstützungsbedarf sie bei der Entwicklung und Umsetzung der frühen Förderung haben. Dabei wurden deutliche regionale Unterschiede unter den befragten Gemeinden festgestellt: Während sich in der französisch- und italienischsprachigen Schweiz v. a. Kindertagesstätten und Tagesfamilien um die frühe Förderung kümmern, sind es in der deutschsprachigen Schweiz überwiegend Spielgruppen sowie Mütter- und Väterberatungsstellen. Eine Lücke zeigt sich bei aufsuchenden Programmen für Familien mit hohen Belastungen.

Die Gemeinden setzen eine Vielzahl von Massnahmen und Initiativen erfolgreich um; allerdings verfügt lediglich jede zehnte der kleineren und mittleren Gemeinden über eine kommunale Strategie der frühen Förderung. Als grösste Hürde für die Erarbeitung einer entsprechenden Strategie nennen die Gemeinden die zu geringe Gemeindegrösse. Knapp die Hälfte der ausgewerteten Gemeinden begegnet dieser Herausforderung allerdings mit gemeindeübergreifenden Kooperationen, um auf diesem Weg die Zusammenarbeit zu fördern und die Angebote zu optimieren. Als zweitgrösste Herausforderung nennen die Gemeinden mangelnde Ressourcen und verweisen entsprechend primär auf Unterstützungsbedarf finanzieller Natur (Meier Magistretti/Schraner 2017: 5 f.).

Beiträge des Programms an kleinere und ­mittlere Gemeinden Gestützt auf die Ergebnisse der Gemeindebefragung hat der SGV zehn Empfehlungen für die Weiterentwicklung der frühen Förderung auf Gemeindeebene formuliert. Zusätzlich dazu haben BSV und SGV einen praktischen Leitfaden bzw. eine Orientierungshilfe für kleinere und mittlere Gemeinden entwickelt. Diese umfasst einerseits einen kompakten Überblick über die Wirkung und Erfolgsfaktoren von Angeboten der frühen Förderung und Beispiele kantonaler und kommunaler Konzepte zum Thema. Andererseits enthält sie sowohl eine Übersicht über bestehende Arbeitsinstrumente als auch konkrete Anregungen für Gemeinden, die den Bereich weiterentwickeln und strategisch verankern möchten.

Im ersten Halbjahr 2018 wurden beide Publikationen interessierten kommunalen politischen Entscheidungsträgern und Verwaltungsvertretern im Rahmen von sechs regionalen Seminaren vorgestellt.

Positive Dynamik nutzen und (inter-)kommunale Plattformen etablieren Die rund 330 Teilnehmenden bewerten die Austauschgefässe, die mit den regionalen Seminaren geschaffen wurden, als positiv und hilfreich für ihre Arbeit. Die Mischung aus wissenschaftlich fundierten Inputs, guten Praxisbeispielen und dem angeleiteten Fachaustausch haben sich aus ihrer Sicht bewährt. Das rege Interesse weist darauf hin, dass sich kleinere und mittlere Gemeinden vermehrt mit der frühen Förderung auseinandersetzen. Die Herangehensweisen unterscheiden sich allerdings je nach Sprachregion. Während in der Deutschschweiz mehr Gemeinden mit der Erarbeitung einer Strategie beschäftigt sind, stehen in der Westschweiz die Angebots­gestaltung und -steuerung im Vordergrund.

Für viele Gemeinden bleibt es eine Herausforderung, eine Strategie der frühen Förderung zu entwickeln. Umso wichtiger ist es, dass gerade kleinere und mittlere Gemeinden bei solchen Strategieprozessen auf praktische, alltagstaugliche Unterstützung zählen können. Eine pragmatische Vorgehensweise, die Entwicklung einer gemeinsamen Vision und Haltung über die Wichtigkeit und das Potenzial der frühen Förderung (z. B. Reduktion von Entwicklungsunterschieden bei Kindergarteneintritt, Steigerung der Standortattraktivität einer Gemeinde etc.), die Vernetzung und Bildung von Allianzen verschiedener Akteure der Praxis sind erfolgsversprechende Ansätze und können ein gemeinsames Verständnis für das Thema fördern (Weber/Wilhelm 2018: 5 f.).

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass gerade für kleinere und mittlere Gemeinden die interkommunale Zusammenarbeit grosses Potenzial hat. Im Rahmen von regionalen Netzwerken bzw. Verbundlösungen können sie die Planung und Umsetzung von Angeboten der frühen Förderung zugunsten benachteiligter Kinder und Familien gemeinsam angehen.

  • 1. Verstanden als Gemeinden bis maximal 10 000 Einwohner.
Lic. rer. soc., wissenschaftliche Mitarbeiterin, Bereich Alter, Generationen und Gesellschaft, 
FGG, BSV.
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Stv. Direktorin, Leiterin Politik, 
Schweizerischer Gemeindeverband.
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