Familienzulagen: Regulierungskosten und Verbesserungsvorschläge

2015 wurden gesamtschweizerisch rund 5,6 Mrd. Franken Familienzulagen nach ­FamZG ­ausgerichtet. Die administrativen Kosten der Unternehmen beliefen sich dabei auf 278 Mio. Franken. Mit punktuellen Verbesserungen oder einer Neukonzeption des ­Systems liessen sie sich senken.
Josef Perrez
  |  02. Juni 2017
    Forschung und Statistik
  • Familienzulagen

Die Attraktivität eines Wirtschaftsstandorts hängt wesentlich von der Dichte und Qualität der staatlichen Regulierung ab. Vor diesem Hintergrund werden im Rahmen des bundesrätlichen Programms 2016–2019 zur administrativen Entlastung von Unternehmen verschiedene Regulierungen evaluiert. Dabei werden die den Unternehmen auferlegten Kosten geschätzt und Massnahmen zu ihrer Reduktion vorgeschlagen. Im Bereich der Familienzulagen wurde das Institut für Wirtschaftsstudien Basel (IWSB) vom Bundesamt für Sozial­versicherungen (BSV) mit einem Regulierungs-Check-up beauftragt. Der Nutzen der Familienzulagen wird hierbei nicht zur Diskussion gestellt. Der Fokus der Untersuchung liegt vielmehr auf den in den Unternehmen entstehenden administrativen Kosten.

Die Familienzulagen ausserhalb der Landwirtschaft wurden 2009 mit dem Bundesgesetz über die Familienzulagen (FamZG) eidgenössisch geregelt. Um die finanzielle Belastung der Eltern zu mindern, werden sie für Kinder ab Geburt bis zum 16. Altersjahr ausgerichtet. Für ihre Kinder zwischen 16 und 25 Jahren in Ausbildung erhalten die Eltern Ausbildungszulagen. Die Mindesthöhe der Zulagen ist im FamZG festgelegt. Finanziert werden die Familienzulagen hauptsächlich durch Arbeitgeberbeiträge, deren Höhe von den einzelnen Familienausgleichskassen (FAK) bestimmt wird. Aufgrund der unterschiedlichen Mitarbeiterstruktur der ihnen angeschlossenen Unternehmen1, unterscheiden sich die Beitragssätze der einzelnen FAK stark.

Bei den hier betrachteten Regulierungskosten handelt es sich um sämtliche Kosten, die bei den Selbstständigerwerbenden und den Arbeitgebern anfallen, wenn sie die Gesetze und Vorschriften im Bereich der Familienzulagen befolgen. Darin eingerechnet sind nur jene Kosten, die nicht auf andere Regulierungen zurückzuführen sind und im Rahmen der unternehmerischen Tätigkeit nicht ohnehin anfallen. Bei der Gesetzgebung spielt auch die kantonale Ebene eine wichtige Rolle. Hinzu kommen internationale Abkommen und Bestimmungen der Familienausgleichskassen. Deshalb ist die Regulierung komplex. So liegen z. B. die Familienzulagen in einzelnen Kantonen über der im FamZG festgelegten Mindesthöhe, was zu einem administrativen Mehraufwand bei Unternehmen führen kann, wenn beide Elternteile berufstätig sind und nicht im gleichen Kanton arbeiten. Im Zuge gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Veränderungen nimmt die Zahl der arbeitsaufwendigen Fälle zu.

Regulierungskosten Der durch die Regulierung der Familienzulagen generierte administrative Aufwand der Unternehmen kann in zehn als Handlungspflichten (HP) bezeichnete Bereiche gruppiert werden (vgl. Tabelle T1). Davon betreffen mehrere die Verteilung von Aufgaben und Entscheidungskompetenzen bei der Beurteilung einer Berechtigung auf Familienzulagen. Im Normalfall wird der Entscheid von den FAK gefällt; die Unternehmen übermitteln ihnen die erforderlichen Informationen bei der Anmeldung (HP 2) und bei Veränderungen der familiären Situation eines bezugsberechtigten Mitarbeitenden (HP 3).

In den Ausnahmefällen von Unternehmen mit delegierter Dossierführung – schweizweit rund deren 1500 – prüfen diese die Anträge auf Familienzulagen ihrer Arbeitnehmer selbst (HP 4). Sie informieren die FAK über die gefällten Entscheide (HP 9). Die delegierte Dossierführung ist eine Kooperationsform zwischen grossen Unternehmen und FAK, die auf die Zeit vor der Einführung des FamZG zurückgeht und in diesem nicht geregelt ist.

Im Jahr 2015 betrugen die bei den Unternehmen anfallenden Regulierungskosten der Familienzulagen 278 Mio. Franken. Den grössten Anteil haben mit 54 Prozent die Verwaltungskostenbeiträge an die FAK (vgl. Grafik G1). Neben der Prüfung der Anspruchsberechtigung umfassen sie weitere Aufgaben wie die Verwaltung der Finanzen. Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass die Beurteilung der Ansprüche einen grossen Anteil am Gesamtaufwand der Kassen ausmacht. Die Kommunikation von Änderungen der Familiensituation von Mitarbeitenden (HP 3) beansprucht 13 Prozent der Regulierungskosten, die Mitwirkung bei der Antragsstellung für Familienzulagen (HP 2) 11 Prozent. Weitere wichtige kostenverursachende Handlungspflichten sind die Zahlung der Beiträge an die FAK (HP 5: 6 Prozent) und die Auszahlung der Familienzulagen an die Angestellten (HP 6: 5 Prozent). Unternehmen mit delegierter Dossierführung ihrerseits weisen für die Beurteilung der Bezugsberechtigung lediglich zwei Prozent der Regulierungskosten aus. Pro Bezüger sind ihre Kosten aber vergleichbar mit jenen der übrigen Unternehmen mit 250 und mehr Angestellten.

Aufwendige Anspruchsprüfung Wie die Zerlegung der Regulierungskosten nach Handlungspflichten zeigt, ist die Anspruchsprüfung besonders teuer. Es handelt sich dabei einerseits um die Prüfung selbst, andererseits um die Übermittlung der dafür notwendigen Informationen an die FAK.

Die Anspruchsberechtigung hängt von einer Vielzahl von Kriterien ab, die ein Elternteil erfüllen muss, um Familienzulagen zu erhalten. Die entsprechenden Informationen werden durch die Arbeitgeber erhoben und an die FAK weitergeleitet. In der Regel unterstützen Erstere ihre Mitarbeitenden, indem sie z. B. überprüfen, ob die Formulare vollständig ausgefüllt wurden. Die erforderlichen Angaben umfassen Informationen zum Kind, zu beiden Elternteilen und ihrer Arbeitssituation (Arbeitgeber, Arbeitsort, Lohn u. a.), auf deren Basis nicht nur entschieden wird, ob das Kind alters- und ausbildungsmässig die Erfordernisse erfüllt, sondern auch, ob der Vater oder die Mutter Anspruch auf Familienzulagen haben. Arbeiten beide in unterschiedlichen Kantonen mit unterschiedlich hohen Familienzulagen, können sie in einem der beiden Kantone einen zusätzlichen Antrag auf sogenannte Differenzzahlungen stellen, um die maximale Höhe der Familienzulagen auszuschöpfen.

Verbesserungsmassnahmen Eine vierzehnköpfige Expertengruppe mit Vertretern aus Unternehmen, Treuhandfirmen und FAK beurteilte verschiedene mögliche Verbesserungsmassnahmen zur Kostenreduktion. Die folgenden sechs empfahl sie umzusetzen:

  • Heute gibt es drei Typen von FAK: Eine kantonale FAK in jedem Kanton, Verbandskassen, welche an die von Branchenverbänden geführten AHV-Ausgleichskassen angeschlossen sind, und eigenständige FAK. Ein Unternehmen muss sich in jedem Kanton, in dem es mit einer Niederlassung präsent ist, an eine FAK anschliessen, was zu Doppelspurigkeiten führen kann. Ist ein Unternehmen z. B. einer Verbandsausgleichskasse angeschlossen, die im betreffenden Kanton keine Familienausgleichskasse führt, muss es sich der dortigen kantonalen FAK anschliessen. Neu sollen sich kantonale Niederlassungen der FAK des Firmenhauptsitzes anschliessen können. Zudem soll es einem Unternehmen ermöglicht werden, sämtliche Belange über seine Verbandsausgleichskasse zu regeln, indem allen Verbandsausgleichskassen und eigenständigen FAK erlaubt wird, als sogenannte Abrechnungsstellen kantonaler FAK aufzutreten.
  • Künftig sollen alle 16- und 17-Jährigen ohne vorgängige Prüfung einer allfälligen Berechtigung Ausbildungs­zulagen erhalten. Ausbildungsbescheinigungen müssen also nicht mehr eingereicht werden und deren Prüfung entfällt. Allerdings werden dadurch letztlich mehr Zulagen ausbezahlt.
  • Um zu erfahren, ob ein Kind bereits Familienzulagen erhält, müssen sich Unternehmen mit delegierter Dossierprüfung heute an ihre FAK wenden, die hierzu das Familienzulagenregister konsultiert. Unternehmen mit delegierter Dossierprüfung sollen neu Einsicht ins Familienzulagenregister erhalten. Allerdings bedeutet dies, dass die delegierte Dossierführung neu gesetzlich definiert und geregelt werden muss.
  • Heute hat jede FAK ein eigenes Anmeldeformular. Die Anmeldeformulare sollen standardisiert werden, indem die FAK sie auf freiwilliger Basis angleichen.
  • Die Aufgaben der Unternehmen sind heute in den Kantonen unterschiedlich geregelt. In verschiedenen Kantonen genügt es, wenn die Unternehmen den Angestellten die für das Antragsformular erforderlichen Angaben liefern. Durch eine bessere Information soll sichergestellt werden, dass die Unternehmen wissen, in welchem Ausmass sie ihre Angestellten bei der Antragsstellung unterstützen ­müssen.

Die Kostenersparnisse, die sich mit den Verbesserungsmassnahmen erzielen lassen, sind in den meisten Fällen schwer zu beziffern. Am ehesten scheinen solche mit dem bedingungslosen Anspruch auf Ausbildungszulagen der 16- und 17-Jährigen möglich. Hier würden die Regulierungskosten um circa 800 000 Franken reduziert. Es gilt allerdings zu bedenken, dass die Gesamtkosten des Systems – im Gegensatz zu den vom Seco definierten Regulierungskosten – stärker steigen, da die Zahl der Zulagen zunimmt. Diese Mehrkosten von schätzungsweise 30 Mio. Franken würden über erhöhte Lohnbeiträge zumindest kurzfristig denn auch durch die Arbeitgeber getragen.

Vorschlag einer Neustrukturierung des Systems Ergänzend zu den bereits thematisierten Verbesserungsmassnahmen skizzieren die Autoren der hier vorgestellten Studie zwei Varianten einer grundsätzlichen Reform des Familienzulagensystems, über die sich die Regulierungskosten massiv senken liessen. Ihr Einsparungspotenzial liegt bei schätzungsweise 50 bzw. 70 Prozent. In beiden Fällen würde die Prüfung der Anspruchsberechtigung deutlich vereinfacht und vom Arbeitsverhältnis der Eltern losgelöst. Der Arbeitgeber würde dabei seine Funktion als Informationsübermittler und Zahlstelle der Familienzulagen abgeben, die Finanzierung würde weiterhin primär über Arbeitgeberbeiträge erfolgen.

Die schlankeste und effizienteste Lösung involviert die den Krankenkassen vorliegenden Informationen und Bankkontoverbindungen, auf deren Basis jedes in der Schweiz lebende Kind2 eindeutig identifiziert werden kann. Indem die Familienzulagen neu über die Krankenkasse auf das für die Prämienzahlung verwendete Konto ausbezahlt werden, entfällt die Bestimmung des anspruchsberechtigten Elternteils. Das einzige von den Eltern einzureichende Dokument ist die Ausbildungsbescheinigung für Jugendliche in Ausbildung. Da die Bezugsberechtigung nicht mehr geprüft werden muss, verlieren die FAK ihre wichtigste Funktion. Die Arbeitgeber zahlen die Beiträge zusammen mit jenen für die 1. Säule an ihre Ausgleichskasse. Eine neu zu bildende zentrale staatliche Clearingstelle berechnet die Höhe der Zulagen, sodass das System im Gleichgewicht ist, und nimmt die Finanztransfers von den Ausgleichskassen an die Krankenkassen vor. Kantonale Unterschiede in der Höhe der Familien­zulagen und der Beiträge sowie von den Kantonen finanzierte Zulagen für Nichterwerbstätige bleiben möglich. Die Funktion der Clearingstelle ist technisch, sie fällt keine strategischen Entscheide. Somit bleiben die Kosten begrenzt.

Für den Fall, dass ein Einbezug der Krankenkassen nicht möglich wäre, ist eine alternative Lösung denkbar, bei der die Familienzulagen je zur Hälfte an beide Elternteile ausbezahlt werden – ausser im Fall von Alleinerziehenden. Auch in dieser zweiten Variante entfällt die aufwendige Überprüfung der Anspruchsberechtigung, dafür sind fast doppelt so viele Bankverbindungen zu erfassen.

Fazit Die Studie nennt verschiedene Möglichkeiten, um im Bereich der Familienzulagen Regulierungskosten zu senken. Je grundlegender das System überarbeitet wird, desto höher ist der Effizienzgewinn. Aus Sicht des Einzelunternehmens liessen sich mit einem Wechsel zu einer FAK mit tieferen Beitragssätzen am meisten Kosten einsparen. Eine Liberalisierung des Systems würde insgesamt zu einer Angleichung der Beitragssätze führen, was sich unterschiedlich stark oder sogar mit unterschiedlichem Vorzeichen auf die Kosten der einzelnen Unternehmen auswirken würde.

  • Literatur
  • Perrez, Josef; Braun-Dubler, Nils; Gmünder, Markus (2017): Regulierungs-Checkup im Bereich der Familienzulagen; [Bern: BSV]. Beiträge zur Sozialen Sicherheit; Forschungsbericht Nr. 2/17: www.bsv.admin.ch > Publikationen & Service > Forschung und Evaluation > Forschungspubli­kationen.
  • 1. In einzelnen Kantonen werden die Differenzen allerdings mit einem Lastenausgleich korrigiert.
  • 2. Eine Speziallösung für anspruchsberechtigte Kinder im Ausland ist ­notwendig, betrifft aber eine Minderheit der Fälle.
PhD in Economics, Projektleiter, Institut für ­Wirtschaftsstudien Basel.
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