Evaluation des Nationalen Programms gegen Armut

2014 wurde das Nationale Programm gegen Armut lanciert. Seine Evaluation im Jahr 2017 untersuchte, ob die Ziele des Programms erreicht werden konnten und ob dieses als ­Basis für die zukünftige Ausgestaltung der Armutsbekämpfung und -prävention in der Schweiz dienen kann.
Michael Marti, Annick de Buman, Ursula Walther
  |  21. Dezember 2018
    Forschung und Statistik
  • Armut
  • Eingliederung

Im Mai 2013 verabschiedete der Bundesrat das Konzept «Natio­nales Programm zur Prävention und Bekämpfung von Armut in der Schweiz» (kurz Nationales Programm gegen Armut), das im Dialog mit wichtigen Umsetzungspartnern konzipiert und erarbeitet wurde. Das Programm war auf fünf Jahre befristet (2014–2018) und wurde von Bund, Kantonen, Städten und Gemeinden sowie von Organisationen der Sozialpartner und der Zivilgesellschaft getragen. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) war für seine Umsetzung zuständig. Dem Programm standen insgesamt neun Millionen Franken zur Verfügung.

Die Evaluation beurteilte die Umsetzung und die Wirkungen des Programms, wie sie sich bis zum Zeitraum der Beurteilung zwischen April und Oktober 2017 erfassen liessen. Sie verfolgte folgende fünf Ziele:

  • Überprüfung der Programmkonzeption (Ziele, Zielgruppen, Strukturen, Rollen, Kommunikation etc.) und der Programmumsetzung
  • Überprüfung der erbrachten Leistungen sowie deren Nutzung und Nützlichkeit
  • Bilanzierende Gegenüberstellung von Aufwand und Nutzen des Programms
  • Einschätzung des Beitrags des Programms im Hinblick auf die Visionen
  • Gesamtbeurteilung des Programms sowie dessen Schlussfolgerungen und Empfehlungen

Vorgehen Mithilfe einer Dokumentenanalyse arbeitete die Evaluation als erstes die Grundlagen des Programms auf und liess die Umsetzung danach mittels einer Online­befragung und durch die Mitglieder der Steuer- und Begleitgruppen beurteilen. Mit der Onlinebefragung wurde bewusst ein breiterer Kreis von Akteuren einbezogen und vorwiegend ein quantitativer Ansatz verfolgt. Verschiedene offene Fragen liessen den befragten Akteuren jedoch Platz, sich gezielt zu äussern. Die Einschätzung der zentralen Akteure in der Steuer- sowie der Begleitgruppe wurde im Rahmen von Gesprächen abgeholt. Die Ergebnisse der Evaluation wurden mit dem Programmteam des BSV sowie der Begleit- und der Steuergruppe validiert.

Gesamtbeurteilung des Programms Die grosse Mehrzahl der online befragten Personen beurteilte das Programm positiv. Über 80 Prozent der Befragten zeigten sich mit dem Programm zufrieden oder eher zufrieden (vgl. Grafik g1), wobei sich die verschiedenen Akteursgruppen in ihrer Beurteilung kaum unterschieden. Einzig die Sozialpartner und Wirtschaftsverbände wiesen einen tieferen Zufriedenheitsgrad auf.

In den Gesprächen bewerteten die Mitglieder der Steuer- und der Begleitgruppe die Ergebnisse des Programms ebenfalls weitgehend positiv. Dies gilt insbesondere hinsichtlich des Ziels einer verbesserten Zusammenarbeit und Koordination, die als sehr positiv beurteilt wurde, ebenso wie die Vernetzung der Akteure und die Bereitstellung von Grundlagen. Ausdrücklich begrüssten Kantone, Städte und Gemeinden sowie NGO, Betroffenenorganisationen und Vereine mehrheitlich das Engagement des Bundes.

Programmleistungen und -aktivitäten Mit der Erarbeitung von Grundlagenwissen sowie der Vernetzung aller Akteure und dem Aufbau eigener Informationskanäle zur Verbreitung des vorhandenen und gesammelten Wissens verfolgte das Programm drei Hauptzielsetzungen.

  • So wurden im Rahmen des Programms 16 Studien und Berichte erarbeitet und acht Praxisinstrumente entwickelt. Weiter wurden 27 Projekte zur Stärkung der Bildungs­chancen sozial benachteiligter oder bildungsferner Kinder, Jugendlicher und Erwachsener finanziell unterstützt.
  • Um das vorhandene und gewonnene Wissen bekannt zu machen, führte das Programm mehrere Veranstaltungen durch: zwei Nationale Konferenzen sowie zwei Tagungen zum Thema «innovative Projekte», daneben sechs regionale Seminare zur frühen Förderung in Gemeinden, ein Fach­seminar betreffend Informationen für armutsbetroffene Menschen und ein Expertenworkshop zur Nachholbildung. Weiter unterstützte das Programm 22 Veranstaltungen Dritter finanziell. Bei rund der Hälfte dieser Veranstaltungen leistete es auch einen inhaltlichen Beitrag.
  • Wichtige Informationskanäle des Programms waren die dreisprachige Webseite sowie der Newsletter mit über 600 Abonnentinnen und Abonnenten. Diese beiden Kanäle dienten nicht nur der Informa­tion, sondern halfen auch mit, Wissen zu verbreiten und die Akteure zu vernetzen.

Die online befragten Akteure waren sich einig, dass mit den zur Verfügung stehenden Mitteln viel erreicht wurde; denn auch die Programmleistungen und -aktivitäten wurden insgesamt positiv beurteilt:

  • Studien und Berichte: Rund 90 Prozent erachteten die Studien und Berichte als verständlich und hielten sie für relevant in Bezug auf die Armutsproblematik. Ebenso fanden fast 80 Prozent, dass die Studien und Berichte neues Wissen brachten. Diese Bewertungen unterschieden sich zwischen den einzelnen Studien nur geringfügig.
  • Praxisinstrumente: Die Praxisinstrumente wurden ebenfalls positiv bewertet: Über 90 Prozent der Personen, die die Praxisinstrumente kannten, hielten sie für verständlich. 87 Prozent betrachteten sie als praxisrelevant und aus Sicht von 76 Prozent lieferten sie neues Wissen.
  • Veranstaltungen: Für rund 90 Prozent der Befragten erreichten die Veranstaltungen ihr Ziel, die Akteure besser zu vernetzen und den gegenseitigen Austausch zu fördern.
  • Website: Eine gute Beurteilung erhielt auch die Website: Rund 90 Prozent der Befragten werteten sie als aktuell, inhaltlich relevant und übersichtlich aufgebaut.

Rund die Hälfte der online befragten Akteure gab an, eine Multiplikatorenfunktion wahrzunehmen und damit zur Verbreitung der Leistungen und Aktivitäten beizutragen. Am häufigsten wurden dabei Studien und Praxisinstrumente empfohlen oder auf die Website hingewiesen. Die befragten Mitglieder der Steuer- und der Begleitgruppe beurteilten die Multiplikatorenfunktion kritischer: Verschiedene Gesprächspartner wiesen darauf hin, dass viele Akteure ihre Multiplikatorenfunktion bis zum Zeitpunkt der Evaluation noch zu wenig zielgerichtet wahrnehmen konnten und dass die Verbreitung der Leistungen und Aktivitäten noch Zeit brauchte.

Sind konkrete Impulse erkennbar? In der Onlinebefragung gaben rund 17 Prozent der Akteure an, bereits konkrete Veränderungen in der Armutsprävention und -bekämpfung erkannt zu haben, die sie dem Programm zuschrieben. Als wichtigste Impulse nannten sie die Schaffung neuer Angebote für armutsbetroffene Menschen (runde Tische, Gremien mit einer paritätischen Vertretung, schwellenfreier Zugang zu Veranstaltungen in der Armutsforschung, Workshops für Betroffene, Entwicklung von digitalen Angeboten) und die Anpassung und Weiterentwicklung bestehender Angebote, insbesondere im Bereich der frühen Förderung. Weitere Impulse ergaben sich durch die erhöhte Sensibilisierung der Zielgruppen für die Armutsprävention und -bekämpfung.

Mehrheitlich wurden die Zielsetzungen des Programms erreicht oder zumindest teilweise erreicht (vgl. Grafik g2): Rund zwei Drittel der online befragten Akteure hielten die Ziele Intensivierung der fachlichen Debatte, Erweiterung des Wissens, Verbesserung der Zusammenarbeit sowie Erprobung und Bekanntmachung von neuen Angeboten für teilweise erreicht, ein weiterer Fünftel sah sie bereits vollständig erreicht. Der angestrebte bessere Zugang zu Informationen und Beratungsstellen für armutsbetroffene Personen wurde hingegen als noch wenig fortgeschritten eingeschätzt. Dies hängt auch damit zusammen, dass bis zum Zeitpunkt der Evaluation erst wenig für eine Verbesserung des Zugangs getan werden konnte und entsprechende inhaltliche Arbeiten erst 2018 erfolgten.

Weiteres Engagement des Bundes ­er­­wünscht Obschon die Vertreter der Steuer- und der Begleitgruppe sich mehrheitlich dafür aussprachen, dass der Bund seine Tätigkeiten in der Armutsprävention weiterführt, waren sie sich über Form und Inhalt nicht einig. Einerseits wurde die Fortsetzung in der Form eines weiteren befristeten Programms gewünscht, andererseits gab es Rückmeldungen, die eine Verankerung gewisser Tätigkeiten in den Regelstrukturen vorzogen, so z. B. die Weiterverbreitung von Informationen und eine weitreichendere Koordination und Vernetzung.

Die Mehrzahl der Befragten sah den Bund in einer tragenderen Rolle als heute, zumal der Bund in verschiedenen Sektoralpolitiken das Thema Armut direkt beeinflusst (z. B. Sozialversicherungen, Berufsbildung, Migration, Gesundheit, Arbeitsmarkt) und sich daher nicht aus der Thematik herausnehmen kann. Die Mitverantwortung des Bundes betonten auch einzelne Akteure, die keinen Bedarf für ein weiteres Programm sahen.

Fazit Das Nationale Programm gegen Armut wurde als Fachprogramm und nicht als Kampagne verstanden. Entsprechend ging es bei seiner Umsetzung um die Fundierung des Wissens in der Armutsprävention und -bekämpfung, um die verstärkte Koordination und Zusammenarbeit sowie um die Vernetzung der Akteure. Mit Ausnahme des besseren Zugangs Armutsbetroffener zu Informationen waren die Ziele zum Zeitpunkt der Evaluation und somit vor Ablauf des Programms bereits weitgehend erreicht. Insgesamt waren die Akteure mit dem Programm zufrieden und sahen ihre Erwartungen mehrheitlich erfüllt.

  • Literatur
  • Marti, Michael; de Buman, Annick; Walther, Ursula; Steinmann, Sarina; Büchler, Simon (2018): Evaluation Nationales Programm zur Prävention und Bekämpfung von Armut, [Bern: BSV]. Beiträge zur sozialen Sicherheit; Forschungsbericht Nr. 4/18: www.bsv.admin.ch > Publikationen & Service > Forschung und Evaluation > Forschungsberichte.
Dr. rer. pol., Partner Ecoplan.
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Master of Science in Psychology, Consultant Ecoplan AG (bis April 2018).
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Master of Arts in Political Science, 
Consultant Ecoplan AG.
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