Entwicklung der Zusammenarbeit von IV-Stellen und Arbeitgebern

Die Gestaltung der Zusammenarbeit zwischen IV-Stellen und Arbeitgebern ist für eine ­erfolgreiche berufliche (Wieder-)Eingliederung von grosser Bedeutung. Eine neue ­Studie zeigt die Vielfalt der Zusammenarbeits- und Kontaktformen auf und hat dazu eine Typologie entwickelt.
Thomas Geisen, Edgar Baumgartner
  |  03. Juni 2016
    Forschung und Statistik
  • Invalidenversicherung

Die Arbeitgeber spielen eine entscheidende Rolle, wenn es um den Erhalt eines Arbeitsplatzes oder die (Wieder-)Eingliederung in die Erwerbsarbeit geht (Geisen et al. 2008, Baumgartner et al. 2004). Entsprechend hat sich die Zusammenarbeit mit den Arbeitgebern insbesondere seit der 5. IV-Revision zu einem zentralen Aufgabenbereich der IV-Stellen entwickelt. Um neue Wege in der Zusammenarbeit zu erproben, wurden gemeinsam auch Pilotprojekte entwickelt. 1

Zur Ausgestaltung der Beziehungen zwischen IV-Stellen und Arbeitgebern liegen bislang kaum systematische Erkenntnisse vor. Ältere Studien wiesen vor allem auf Defizite hin. So nahmen die Arbeitgeber die IV-Stellen in einer frühen Phase ihrer Eingliederungsbemühungen kaum als Ansprechpartner wahr (Baer/Fasel 2011) und sie wünschten sich einen verbesserten Informationsaustausch sowie eine zielgerichtete Zusammenarbeit gleich zu Beginn des Eingliederungsprozesses (Butti et al. 2012). Die Studien zeigen auch die Vielfalt aktueller Zusammenarbeitsformen, die sich grundsätzlich nach fallabhängigen und fallunabhängigen Kontakten unterscheiden lassen. Fallabhängige Kontakte bestehen bei der unmittelbaren Bearbeitung eines Versicherungsfalls und streben den Arbeitsplatzerhalt an, entweder im bestehenden Unternehmen oder durch die Vermittlung in ein anderes Unternehmen, etwa auf einen neuen Arbeitsplatz oder im Rahmen einer Eingliederungsmassnahme. Fall­unabhängige Kontakte zwischen IV-Stellen und Arbeitgebern zielen auf die prospektive Akquise von Arbeits- und Ausbildungsplätzen zur Durchführung von Massnahmen oder auf die Begleitung und Unterstützung der Arbeitgeber in unklaren Situationen mit Beschäftigten (vgl. Bolliger et al. 2012).

Derzeit ist wenig bekannt über den Aufbau und die Pflege der Kontakte zwischen Arbeitgebern und IV-Stellen. Die im Folgenden vorgestellte Studie analysiert die unterschiedlichen Kontakt- und Kooperationsformen, beschreibt zugrundeliegende Strukturen und eingesetzte Instrumente und benennt Erfolgsfaktoren und Hindernisse für eine eingliederungswirksame Zusammenarbeit.

Die Studie stützt sich auf zwei Onlinebefragungen. Es wurden 23 IV-Stellen 2 und 109 Arbeitgeber befragt, mit denen die IV-Stellen vorgängig bereits zusammengearbeitet und die sie für eine Beteiligung an der Umfrage vorgeschlagen haben. Darüber hinaus wurden Fokusgruppendiskussionen mit Mitarbeitenden der 23 einbezogenen IV-Stellen geführt.

Die Perspektive der Arbeitgeber  Die Kontaktaufnahme mit der zuständigen IV-Stelle erfolgt in erster Linie telefonisch und über Besuche von IV-Mitarbeitenden in den Betrieben. Die Besuche fanden zum Teil regelmässig statt, sowohl fallabhängig als auch fallunabhängig. Über diese Kanäle erhalten die Arbeitgeber auch Kenntnis vom Leistungsangebot der IV, dies deutlich häufiger als über Broschüren oder Informationen im Internet. Wenn ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin erkrankt, ist es meistens der Betrieb selbst, der für die Kontaktaufnahme mit der IV-Stelle sorgt.

Die Art der Kontaktaufnahme und auch die Zusammenarbeit mit den IV-Stellen beurteilen die Arbeitgeber überwiegend positiv. Rund drei Viertel der befragten Unternehmen sehen ihre Erwartungen an die Reaktionszeit der IV-Stelle auf Anfragen und an die Qualität der Antworten (eher bis sehr) gut erfüllt. Eine überwiegende Mehrheit der Arbeitgeber beurteilt die Ergebnisse sowie die Effizienz bzw. Wirksamkeit der Zusammenarbeit als gut. 69 Prozent der Befragten bestätigen, bei Angelegenheiten der beruflichen (Wieder-)Eingliederung (eher oder sehr) gut unterstützt zu werden.

Aus Sicht der Arbeitgeber besteht aber auch Verbesserungsbedarf bei der fallbezogenen Bearbeitung, die ihnen oft zu lange dauert. Eine Einschätzung, die auch rund die Hälfte der 23 befragten IV-Stellen teilt. Trotz der zentralen Rolle, welche die Arbeitgeber der Zusammenarbeit mit den IV-Stellen zuschreiben, trägt diese allerdings derzeit kaum dazu bei, gesundheitliche Probleme von Mitarbeitenden früher zu erkennen oder die Bereitschaft der Unternehmen zu erhöhen, Stellensuchende der IV einzustellen.

Die Perspektive der IV-Stellen  In den vergangenen Jahren wurden erhebliche Anstrengungen unternommen, um die Zusammenarbeit mit den Arbeitgebern zu verbessern. Hierzu gehören vor allem Anpassungen in der Organisations- und Prozessstruktur der IV-Stellen sowie die Einführung neuer Kommunikations- und Arbeitsinstrumente. Insbesondere die 15 grösseren IV-Stellen haben hierzu zwischen 2010 und 2015 ausführliche Konzepte entwickelt und umgesetzt. Kleinere IV-Stellen hingegen sahen diesbezüglich bislang keinen Handlungsbedarf. Ihre Zusammenarbeit mit den Arbeitgebern erfolgt in der Regel unkompliziert und wenig formalisiert. In ihrem Verhalten sind diese IV-Stellen meist reaktiv ausgerichtet und bemüht, jeweils eine angemessene Lösung für ein konkretes Erfordernis zu finden. Neben dieser Orientierung an den Arbeitgeberanliegen ist die Integrationsarbeit aber auch geprägt von der Ausrichtung am gesetzlichen Auftrag und an den Bedürfnissen der IV-Stellen.

Von entscheidender Bedeutung für eine gelingende fall­abhängige Zusammenarbeit ist ein rascher Kontaktaufbau durch die IV, die persönliche Kommunikation sowie der Wille von IV-Stelle und Arbeitgeber, sich regelmässig auszutauschen. Einige IV-Stellen beurteilen die Pflege der persönlichen Kontakte auch in der fallunabhängigen Zusammenarbeit als so wesentlich, dass sie diese als eigenständiges Tätigkeitsfeld ausweisen.

Die IV-Stellen haben in den vergangenen Jahren Kommunikations- und Arbeitsinstrumente für die Kontaktaufnahme und Zusammenarbeit mit den Unternehmen entwickelt. So wurden gedruckte und digitale Angebote zusammengestellt, welche die Arbeitgeber beispielsweise über die Leistungen der IV informieren oder IV-Mitarbeitende bei ihrer Zusammenarbeit mit den Arbeitgebern anleiten. Verbreitet werden die Informationen über die Netzwerke und Datenbanken der Arbeitgeber, aber auch über die Websites der IV-Stellen. Die Arbeitgeberdatenbanken der IV-Stellen wurden hierzu in den vergangenen Jahren erweitert. Besonders häufig greifen die IV-Mitarbeitenden dabei auf Angaben zu Branche, Berufs- und Tätigkeitsfeldern der Unternehmen zu und informieren sich über Stellenangebote oder Beschäftigungsmöglichkeiten. Weniger wichtig sind die Vermerke zu bisherigen Kontakten und zu Betriebsgrössen oder eine gemeinsame Terminkontrolle.

Insgesamt haben die IV-Stellen ihre Strukturen und Abläufe sowie ihr Kommunikations- und Arbeitsinstrumentarium inzwischen gut auf eine engere Zusammenarbeit mit Arbeitgebern ausgerichtet. Im Rahmen der fallunabhängigen Zusammenarbeit führen sie erfolgreich vielfältige Anlässe und Aktivitäten durch. In der fallabhängigen Zusammenarbeit wird vor allem eine zeitnahe Kontaktaufnahme angestrebt. Den IV-Stellen ist neben einer adäquaten Form der Kontaktaufnahme und -pflege v. a. eine gute Kontaktqualität wichtig. Ihre Gewährleistung wiederum, setzt zum einen die Bereitschaft der Arbeitgeber zur Zusammenarbeit voraus und verlangt dabei eine gewisse Beständigkeit. Zum anderen muss der Arbeitgeber darin einen ausreichenden Nutzen sehen.

Typologie der Kontakt- und Kooperations­formen  Die Umfrageergebnisse zeigen, dass die IV-Stellen eine Vielzahl an unterschiedlichen Konzepten, Instrumenten und Massnahmen entwickelt und etabliert haben, die ihnen die Vertiefung ihrer Zusammenarbeit mit den Arbeitgebern erlaubt. Um die beobachteten Ansätze zu systematisieren, wurde eine Typologie der Kontakt- und Kooperationsformen 3 entwickelt. Auf Basis der Umfrage und der Diskussionen mit den Fokusgruppen liessen sich mit der innovations-, koordinations- und anforderungsbezogenen Kooperation drei Typen der Zusammenarbeit identifizieren (vgl. Grafik G1 ).

image15

Bei der innovationsorientierten Kooperation entwickeln oder optimieren IV-Stellen und Arbeitgeber Massnahmen und Angebote der (Wieder-)Eingliederung, die auf das Gesamtunternehmen ausgerichtet sind. Dabei geht es vor allem um die Entwicklung betriebsspezifischer Lösungen im Umgang mit gesundheitlichen Herausforderungen der Belegschaft, beispielsweise psychischen Beeinträchtigungen. Koordinationsorientierte Kooperationen überprüfen primär bestehende Abläufe und Prozesse zwischen IV-Stellen und Arbeitgebern bei der beruflichen (Wieder-)Eingliederung. Im Fokus steht dabei die prozessbezogene Optimierung der Leistungserbringung der IV-Stellen für Arbeitgeber. In der anforderungsorientierten Kooperation schliesslich, unterstützt die IV-Stelle den Arbeitgeber bei der konkreten, fallbezogenen (Wieder-)Eingliederung.

Kontextfaktoren und Erfolgsstrategien  Der Kooperationserfolg ist nicht nur abhängig von der praktischen Ausgestaltung der Zusammenarbeit, sondern auch von sogenannten Kontextfaktoren. Von Bedeutung sind insbesondere unternehmensbedingte Aspekte, wie die Grösse und Branche eines Unternehmens, gesellschaftliche Einflussgrössen, wie die Wirtschaftslage und die Qualifikationsanforderungen an Arbeitnehmende, oder regionale Gegebenheiten wie die soziogeografische Struktur. Zur erfolgreichen Gestaltung von (Wieder-)Eingliederungsprozessen sollten Kontextfaktoren daher in ihrer Wirkung auf Prozesse der Eingliederung verstärkt berücksichtigt werden. Dies gelingt vor allem dann, wenn folgende Handlungsstrategien Anwendung finden:

  • Verbesserung von Kooperation und Koordination innerhalb der IV-Stellen;
  • Festlegen von Zielen und Überprüfung der Zielerreichung;
  • Herstellen von Transparenz und Commitment.

Die Zusammenarbeit ist v. a. dann erfolgsversprechend, wenn die beteiligten Akteure ihr Bedürfnis nach sachbezogener Fachlichkeit und persönlichem Austausch berücksichtigen. Zudem müssen eingliederungsbezogene Beratung durch die IV-Stellen und entsprechende finanzielle Leistungen der IV-Stellen an Versicherte und Arbeitgeber in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen. Weiter braucht es eine umsichtige Koordination der Kommunikation, des Informationsflusses sowie der gemeinsamen Aufgaben von IV-Stellen, Arbeitgebern und allfälligen sonstigen Akteuren.

Ausblick  Die vorliegende Studie zeigt, dass die Zusammenarbeit der IV-Stellen mit den Arbeitgebern inzwischen vielfältige Formen angenommen und sich in Richtung einer wirksamen Unterstützung der Eingliederungsarbeit entwickelt hat. Im Hinblick auf eine Weiterentwicklung und Optimierung der Zusammenarbeit sollten die IV-Stellen die bestehende Praxis zunächst überprüfen, um davon ausgehend verstärkt eine strategiegeleitete Form der Zusammenarbeit zu entwickeln. Entwicklungsbedarf besteht dabei insbesondere bei der fallunabhängigen Zusammenarbeit. Um die Arbeitgeber in der Bearbeitung komplexer Herausforderungen im Gesundheitsbereich effektiver unterstützen zu können, muss die Beratungskompetenz der IV-Mitarbeitenden vertieft werden.

  • Literatur
  • Baer, Niklas; Fasel, Tanja (2011): « Schwierige» Mitarbeiter. Wahrnehmung und Bewältigung psychisch bedingter Problemsituationen durch Vorgesetzte und Personalverantwortliche; [Bern: BSV]. Beiträge zur Sozialen Sicherheit. Forschungsbericht Nr. 1/11: www.bsv.admin.ch > Dokumentation > Publikationen > Forschungspublikationen.
  • Baumgartner, Edgar; Greiwe, Stephanie; Schwarb, Thomas (2004): Die berufliche Integration von behinderten Personen in der Schweiz. Studie zur Beschäftigungssituation und zu Eingliederungsbemühungen; [Bern: BSV]. Beiträge zur Sozialen Sicherheit. Forschungsbericht Nr. 4/04.
  • Bolliger, Christian; Fritschi, Tobias; Salzgeber, Renate; Zürcher, Pascale; Hümbelin, Oliver (2012): Eingliederung vor Rente. Evaluation der Früh­erfassung, der Frühintervention und der Integrationsmassnahmen in der Invalidenversicherung; [Bern: BSV]. Beiträge zur Sozialen Sicherheit. Forschungsbericht Nr. 13/12.
  • Butti, Christine; Lepori, Angelica; Vaucher de la Croix, Carmen (2012): Il potenziale d’inserimento degli assicurati AI nel mercato del lavoro. ­Un’­indagine presso le aziende ticinesi, Manno: SUPSI.
  • Geisen, Thomas; Lichtenauer, Anette; Roulin, Christophe; Schielke, Georg (2008): Disability Management in Unternehmen in der Schweiz; Beiträge zur Sozialen Sicherheit; [Bern: BSV]. Beiträge zur Sozialen Sicherheit. Forschungsbericht Nr. 13/08.
  • Geisen, Thomas; Baumgartner, Edgar; Ochsenbein, Guy; Duchêne-Lacroix, Cédric; Widmer, Lea; Drosz, Pascal; Baur, Roland (2016): Zusammenarbeit der IV-Stellen mit den Arbeitgebenden; [Bern: BSV]. Beiträge zur Sozialen Sicherheit. Forschungsbericht Nr. 1/16.
  • 1. Aus solchen Pilotprojekten ist beispielsweise die Organisation Compasso hervorgegangen, die sich als Informationsplattform zu Fragen der beruflichen Integration an der Schnittstelle von Unternehmen, Betroffenen, IV, Suva, Pensionskassen und Privatversicherern versteht: www.compasso.ch.
  • 2. Es handelte sich um eine Vollerhebung, lediglich 3 von 26 IV-Stellen beteiligten sich nicht an der Studie.
  • 3. Bei der Typologie handelt es sich um Idealtypen, nicht um Realtypen, d. h. die verschiedenen IV-Stellen lassen sich nicht einfach einem Idealtyp zuordnen. Die konkrete Zusammenarbeit stellt jeweils vielmehr eine vom Idealtyp abweichende Mischform dar, in denen verschiedene Elemente der Idealtypen miteinander kombiniert sind. Auch handelt es sich bei den verschiedenen Idealtypen nicht um strukturell aufeinander aufbauende Stufen von Kooperationsformen. Ihnen liegen vielmehr unterschiedliche Handlungs- und Orientierungsmuster zu Grunde.
Dr. phil., Professor für Arbeitsintegration und Eingliederungsmanagement/Disability Management an der Hochschule für Soziale Arbeit der Fachhochschule Nordwestschweiz.
[javascript protected email address]
Prof. Dr., Leiter Institut Professionsforschung und -entwicklung, Hochschule für Soziale Arbeit, Fachhochschule Nordwestschweiz
[javascript protected email address]