Empirische Erkenntnis zu den Auswirkungen von Überbrückungs­leistungen für ältere Arbeitslose

Mit den vom Bundesrat geplanten Überbrückungsleistungen für ältere Arbeitslose kann die Zahl der sozialen Härtefälle bei inländischen älteren Arbeitslosen wie beabsichtigt verringert werden. Daneben sind jedoch auch unerwünschte Verhaltensänderungen nicht auszuschliessen. Das erwartete Ausmass solch unintendierter Effekte scheint allerdings sehr begrenzt.
Melania Rudin, Heidi Stutz, Roman Liesch, Jürg Guggisberg
  |  11. März 2020
    Forschung und StatistikRecht und Politik
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Ausgehend von den Kriterien, wie sie im Gesetzesentwurf der Vernehmlassungsvorlage zu den Überbrückungsleistungen (VE-ÜLG) definiert waren, untersuchte die nachfolgend vorgestellte Studie, inwiefern die theoretische und empirische Forschungsliteratur sowie die Erfahrungen des Kantons Waadt mit der Rente-pont Hinweise für mögliche Fehlanreize und negative gesellschaftliche Auswirkungen der geplanten Überbrückungsleistungen (Bundesrat 2019) liefern. Eine wichtige Massnahme der Gesetzesvorlage (E-ÜLG) gegen mögliche Fehlanreize ist durch die Kombination der finanziellen Leistungen mit vorgelagerten Fördermassnahmen der Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) gegeben. Diese sind für schwer vermittelbare ältere Arbeitslose vorgesehen, die zwei Jahre vor der Aussteuerung stehen. Zudem sollen Ausgesteuerte über 50 Jahre erleichterten Zugang zu Bildungs- und Beschäftigungsmassnahmen erhalten.

Kontextfaktoren sind von Bedeutung Die Schwierigkeiten älterer Personen auf dem Arbeitsmarkt haben verschiedene Ursachen, zu denen unter anderem der erschwerte Zugang zu bezahlbaren Bildungsangeboten für Personen mit Qualifikationslücken gehören, aber auch die Lohnnebenkosten und gesundheitliche Einschränkungen, die mit dem Alter zunehmen, sowie ambivalente Haltungen und Einstellungen gegenüber älteren Arbeitnehmenden – Stichwort Altersdiskriminierung. Die Überbrückungsleistungen ändern an diesen Kontextfaktoren wenig.

Erwünschte Wirkungen auf die Lebenslage sind zu erwarten Zu unterscheiden sind Wirkungen auf die Lebenslage und Wirkungen auf die Entscheidungen sowie das Verhalten der betroffenen Akteure. Mit den Überbrückungsleistungen soll die finanzielle Lage der anspruchsberechtigten Ausgesteuerten verbessert werden. Sie müssten weder die Altersvorsorge vorzeitig antasten noch Leistungen der Sozialhilfe in Anspruch nehmen. Diese Wirkungen werden wie beabsichtigt eintreffen. Die finanzielle Lage der Anspruchsberechtigten verbessert sich in der Folge im Rentenalter ebenfalls, und es werden Einsparungen in der Sozialhilfe und bei den Ergänzungsleistungen zur AHV erzielt.

Kommunikation ist entscheidend, um unerwünschte Wirkungen auf die Lebenslage zu vermeiden Unerwünschte Wirkungen auf die Lebenslage können Überbrückungsleistungen dann haben, wenn Arbeitnehmende oder Arbeitgebende fälschlicherweise davon ausgehen, dass in jedem Fall ein Anspruch darauf besteht und deshalb ihr Verhalten dementsprechend ausrichten und beispielsweise häufiger Kündigungen aussprechen. Die Anspruchsvoraussetzungen für Überbrückungsleistungen sind relativ strikt und sie stehen lange nicht allen inländischen Arbeitskräften zu (43 % der 58-jährigen Arbeitnehmenden wären es im Jahr 2015 gemäss den Kriterien im Gesetzesvorentwurf [VE-ÜLG] gewesen, wie er in die Vernehmlassung ging [vgl. Grafik G1]). Daher ist es wichtig, dass die Behörden die Bedingungen klar kommunizieren und vor Fehlschlüssen warnen.

Intendierte Verhaltensänderungen bei der Zielgruppe der Ausgesteuerten Personen, die Überbrückungsleistungen erhalten sollen, wären von der Stellensuche befreit, da sie sich während der vorangehenden Arbeitslosigkeit mindestens zwei Jahre lang erfolglos um eine Stelle bemüht hatten. Allerdings sind die Überbrückungsleistungen so konzipiert, dass es sich für die Betroffenen weiterhin lohnen würde zu arbeiten. Denn bei der Berechnung der Überbrückungsleistungen würden nur zwei Drittel eines allfälligen Erwerbseinkommens angerechnet, sodass die Bezügerinnen und Bezüger ihre Einnahmen steigern könnten, bis diese den festgelegten oberen Plafond erreichen würden. Weiter wird ein allfälliges Alterskapital der beruflichen Vorsorge geschützt, indem nur anspruchsberechtigt wäre, wer auf eine vorzeitige Auszahlung seines Kapitals aus der 2. Säule verzichtet.

Forschungsergebnisse zu unbeabsichtigten Verhaltensänderungen nicht direkt übertragbar Aus ökonomischer Sicht sind verschiedene unbeabsichtigte Verhaltensänderungen von Arbeitslosen, Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden zu erwarten. In der internationalen Forschungsliteratur gibt es empirische Evidenz dafür, dass unerwünschte Wirkungen eintreten können. Allerdings bezieht sich diese auf sehr unterschiedliche Modelle finanzieller Leistungen zugunsten älterer Langzeitarbeitsloser, so etwa auf eine Verlängerung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeldern oder auf Modelle zur erleichterten Frühpensionierung; Bedarfsleistungen, wie es die Überbrückungsleistungen sind, wurden international hingegen keine untersucht. Am ehesten mit den Überbrückungsleistungen vergleichbar ist die Rente-pont im Kanton Waadt, wobei diese auch Personen offensteht, die keinen Anspruch auf Arbeitslosengelder hatten und darum auch nicht ausgesteuert wurden.

Überbrückungsleistungen sind für wenige Arbeitnehmende potenziell attraktiv Der Bezug von Überbrückungsleistungen ist potenziell für diejenigen Personen attraktiv, die erstens anspruchsberechtigt sind und zweitens auf dem Arbeitsmarkt überhaupt nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen ein Einkommen erzielen können, das substanziell höher ist als die Überbrückungsleistungen, die weitgehend dem Niveau von Ergänzungsleistungen entsprechen. Die Kombination dieser beiden Merkmale trifft nur für eine Minderheit der Arbeitnehmenden zu, wie Grafik G1 veranschaulicht.

Die Datenauswertung (basierend auf WiSiER-Daten) zeigt, dass schon ohne Berücksichtigung der Einkommen von Partnerinnen oder Partnern lediglich 2,5 Prozent der 58-jährigen Arbeitnehmenden die Anspruchsberechtigungen gemäss Gesetzesvorentwurf (VE-ÜLG) erfüllen und gleichzeitig ein Einkommen erzielen, welches nicht über den mittleren anrechenbaren Ausgaben bei den Überbrückungsleistungen liegt, sodass sie damit finanziell besser stehen würden. Arbeitnehmende sind aber unter Umständen bereit, Einkommenseinbussen in Kauf zu nehmen, wenn Sie dafür keiner Erwerbsarbeit mehr nachgehen müssen. Wenn man davon ausgeht, dass sie eine Einkommenseinbusse von 20 Prozent akzeptieren, steigt der entsprechende Anteil auf 4 Prozent (vgl. rechte Säule in Grafik G1) und bleibt damit überschaubar. Wie die linke Säule in der Grafik G1 zeigt, können nur 1,3 Prozent ihr Einkommen potenziell durch Überbrückungsleistungen um 20 Prozent oder mehr steigern. Diese Verteilung macht deutlich, dass die Anreizwirkung auch aus diesem Grund beschränkt sein dürfte.

Unbeabsichtigte Verhaltensänderungen der Erwerbspersonen in sehr begrenztem Ausmass zu erwarten Grundsätzlich denkbar ist, dass ältere Arbeitslose sich weniger ernsthaft um eine neue Stelle bemühen würden, wenn sie nach der Aussteuerung Aussicht auf Überbrückungsleistungen hätten. Aufgrund der neuen Absicherung könnten sie eine höhere Risikobereitschaft für Kündigungen und Stellenwechsel aufweisen oder geringere Anreize haben, als Selbständigerwerbende zu arbeiten. Möglich wäre zudem eine weniger aktive Auseinandersetzung mit den eigenen Arbeitsmarktperspektiven. Auch könnten ältere Arbeitnehmende und Arbeitslose versucht sein, weniger zu sparen, weil Überbrückungsleistungen die Wahrscheinlichkeit von Einkommenslücken reduzieren würden. Insgesamt lässt die Literaturanalyse den Schluss zu, dass vergleichbare unerwünschte Auswirkungen durchaus auch bei den Überbrückungsleistungen zu erwarten sind. Da sich die geplante Massnahme aber in spezifischen Punkten von anderen Modellen unterscheidet, sowie auch aufgrund der tiefen erwarteten Fallzahlen, wird deren Ausmass voraussichtlich jedoch sehr begrenzt sein.

Bezüglich der Integrationsbemühungen von Arbeitslosen gilt es zu bedenken, dass in der Schweiz eine aktive Arbeitsmarktpolitik betrieben wird. Die Wirkung der Überbrückungsleistungen hängt stark von der Wirksamkeit der Integrationsmassnahmen der RAV ab. Bereits 2003 wurde die Anspruchsgruppe der älteren Arbeitslosen für einen verlängerten Taggeldbezug in der ALV erweitert. Diese Ausweitung hat nicht zu einer längerfristigen Erhöhung der Arbeitslosenquote der 60- bis 64/65-Jährigen geführt. Daher ist davon auszugehen, dass auch der Effekt der Überbrückungsleistungen diesbezüglich begrenzt sein dürfte.

Eine veränderte Risikobereitschaft von Arbeitnehmenden, ihre Stelle zu kündigen oder zu wechseln, wurde im Kanton Waadt bei der Einführung der Rente-pont nicht festgestellt. Demgegenüber führte eine Verlängerung von Arbeitslosenleistungen in Österreich dazu, dass mehr Arbeitsverhältnisse aufgelöst wurden. Der Unterschied könnte damit zusammenhängen, dass die Arbeitslosenleistung direkt auf eine Kündigung folgt und keine reine Bedarfsleistung ist, sondern an das frühere Erwerbseinkommen gekoppelt ist.

Verschiedene Studien zeigen, dass attraktive Regelungen zur Frühpensionierung die Motivation älterer Arbeitnehmender für Weiterbildungen schmälert. Dieser Befund ist auch für die geplanten Überbrückungsleistungen relevant. Da jedoch bei weitem nicht alle älteren Erwerbstätigen leistungsberechtigt sein würden und da die Bedingungen für einen Leistungsbezug mit der vorausgehenden Aussteuerung im Vornherein nicht abzuschätzen sind, dürfte der Einfluss der Überbrückungsleistungen auf das Weiterbildungsengagement gering sein.

Darüber hinaus gibt es Verhaltensweisen, die insgesamt stärker von anderen Faktoren beeinflusst sind. Hierzu gehören die Entscheidungen zu sparen oder sich selbständig zu machen. Das Sparverhalten dürfte insgesamt stärker von anderen Faktoren – nicht zuletzt dem Einkommen – abhängen. Den Selbständigerwerbenden entgehen im Vergleich zu Angestellten auch andere Sozialleistungen, wie beispielsweise Taggelder der Arbeitslosenversicherung. Die Überbrückungsleistungen dürften diesbezüglich nur bei vereinzelten Personen eine Rolle spielen.

Verhaltensänderungen bei Arbeitgebenden nur bei ungünstigem Kosten-Nutzen-Verhältnis Wo Unternehmen beispielsweise aus Sorge um ihren guten Ruf soziale Verantwortung tragen, ist es grundsätzlich denkbar, dass Arbeitgebende aufgrund der neuen Bedarfsleistung eine verminderte Bereitschaft zeigen, ältere Arbeitnehmende weiter zu beschäftigen, einzustellen oder in deren Qualifikation zu investieren. Die Leistungen des Sozialstaats können in diesen Fällen die soziale Verantwortung von Unternehmen schmälern. Aber auch mit Überbrückungsleistungen entlassen sie die Mitarbeitenden zuerst in die Arbeitslosigkeit. Der Reputationsschaden und auch die Empfindung bezüglich der sozialen Verantwortung dürften sich daher nicht stark ändern.

Im Kanton Waadt hat die Evaluationskommission nach der Einführung der Rente-pont nicht beobachtet, dass ältere Arbeitnehmende vermehrt entlassen wurden. Empirische Evidenz für vermehrte Entlassungen liefert dagegen die konsultierte Forschungsliteratur, die nach der zeitlichen Ausdehnung von Leistungen der Arbeitslosenversicherung oder bei anderen Modellen der Frühpensionierung eine steigende Bereitschaft der Unternehmen feststellt, ältere Arbeitnehmende zu entlassen. Der Effekt kann also grundsätzlich bestehen. Allerdings betrifft er nur Fälle, in denen die ältere Belegschaft effektiv weniger rentabel arbeitet und es sich um Arbeitsverhältnisse mit ungünstigem Kosten-Nutzen-Verhältnis handelt. Diese stellen nicht den Regelfall dar.

Wichtige Rolle der RAV Damit die Überbrückungsleistungen die beabsichtigten volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ziele erreichen, ist eine ausgewogene Mischung von finanziellen Leistungen und Fördermassnahmen mitentscheidend. Die Reintegration in den Arbeitsmarkt gelingt aktuell 33 Prozent der 63-Jährigen, die als 59-Jährige arbeitslos waren (Daten WiSiER 2015, vgl. Grafik G2).

Personen, die Anspruch auf Überbrückungsleistungen hätten, gelingt sie häufiger als Personen, die (unter anderem aufgrund ihres Vermögens) nicht anspruchsberechtigt wären (39 % gegenüber 28 %). Hier dürfte eine Rolle spielen, dass Personen mit Vermögen es sich eher erlauben können, keiner Erwerbsarbeit mehr nachzugehen. Da eine Aussteuerung Voraussetzung für den Bezug von Überbrückungsleistungen wäre, würden Arbeitslose dieser Altersklasse vorgängig mindestens zwei Jahre von den RAV betreut werden. Deren Fallführung hätte also einen starken Einfluss darauf, ob die Überbrückungsleistungen tatsächlich eine letzte Notlösung blieben.

Breites Massnahmenpaket nötig Die Überbrückungsleistungen werden einen Teil der sozialen Härtefälle bei älteren Arbeitslosen vermeiden können. Allerdings sind die Anspruchsvoraussetzungen restriktiv und für inländische Personen mit tiefen Erwerbseinkommen und lückenhaften Erwerbsbiografien – namentlich Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen oder Frauen – ist diese Absicherung oft nicht zugänglich. Positiv zu werten ist, dass die Überbrückungsleistungen in ein breiteres Massnahmenpaket zur Förderung und zum Schutz des inländischen Arbeitskräftepotenzials eingebettet wären, denn um die Armutsgefährdung im höheren Erwerbsalter zu reduzieren, braucht es einen umfassenden Ansatz.

MscE, Mitglied der Geschäftsleitung und Bereichsleiterin Arbeitsmarktintegration und Soziale Mindestsicherung, Büro für arbeits- und sozial­politische Studien BASS AG.
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Lic. phil. hist., Mitinhaberin, und Bereichsleiterin 
Familienpolitik und Gleichstellung von Frau und Mann, Bürs für arbeits- und sozialpolitische 
Studien BASS AG.
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Dr. rer. publ., wissenschaftlicher Mitarbeiter, Büro für arbeits- und sozialpolitische Studien BASS.
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Soziologe und Ökonom, Geschäftsführung und Bereichsleiter Arbeitsmarkt, Erwerbssituation, Büro für arbeits- und sozialpolitische Studien (BASS)
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