Dreissig Jahre UNO-Kinderrechtskonvention

Das UNO-Übereinkommen über die Rechte des Kindes feiert im November 2019 sein ­30-jähriges Bestehen. Dieses wichtige Instrument, das die Sicht auf die Kinder weltweit ver­änderte, hat beim Schutz und der Förderung der Kinderrechte nichts von seiner ursprüng­lichen Schlag- und Strahlkraft eingebüsst. Die Schweiz hat die Konvention 1997 ratifiziert.
Jean-Marie Bouverat
  |  07. Juni 2019
  • International
  • Kinder

Historisch betrachtet entwickelten sich die Rechte des Kindes als Teil der Menschenrechte. 1924 verabschiedete der Völkerbund die erste Erklärung der Rechte des Kindes, die sogenannte Genfer Erklärung. Diese anerkannte das Schutzrecht des Kindes (Recht auf Entwicklung, Nahrung, Fürsorge, Hilfe, Nichtausbeutung und Schutz in bewaffneten Konflikten sowie Solidarität unter Mitmenschen). Nach der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 verkündete die UNO 1959 die Erklärung der Rechte des Kindes, die zehn Artikel zum Schutz des Kindes umfasste.

Auf der Grundlage dieser beiden Dokumente verabschiedete die UNO-Generalversammlung am 20. November 1989 einstimmig das Übereinkommen über die Rechte des Kindes (Unicef, 1989). Die Kinderrechtskonvention (KRK) hat die Sicht auf die Kinder weltweit verändert. Erstmals wurden Kinder, das heisst Menschen unter 18 Jahren, nicht mehr ­länger nur als «Objekte» angesehen, deren Rechtsanspruch sich auf den Schutz beschränkt, sondern sie galten als eigenständige Rechtsinhaber, die eine Meinung haben und diese auch äussern dürfen.

Die KRK gehört zu den wichtigsten Menschenrechtsverträgen des UNO-Systems mit universellem Charakter. Alle Staaten, mit Ausnahme der USA, haben die KRK ratifiziert. Die KRK umfasst 54 Artikel und vier zentrale Grundsätze: das Diskriminierungsverbot, das übergeordnete Wohl des Kindes, das Recht auf Leben, Überleben und Entwicklung sowie das Recht auf Mitwirkung.

Die KRK enthält sowohl zivile und politische Rechte (Recht auf Leben, Achtung des Privat- und Familienlebens, Gewissensfreiheit, Meinungsäusserungsfreiheit sowie Recht auf einen Namen, eine Staatsangehörigkeit und eine angemessene Justiz) als auch Rechte des Strafverfahrens, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (z. B. Recht auf soziale Sicherheit, Recht auf einen angemessenen Lebensstandard, Bestimmungen zur Kinderarbeit, Recht auf Bildung) sowie Rechte in Bezug auf die harmonische Entwicklung des Kindes (z. B. Freizeit, Spiel, saubere Umwelt usw.). Wenn eine Entscheidung die Zukunft des Kindes betrifft (z. B. Scheidung der Eltern), hat es entsprechend seiner Reife ein Recht auf Anhörung und angemessene Meinungsäusserung. Durch den Schutz des Kindeswohls werden die besondere Situation des Kindes und seine spezifischen Bedürfnisse berücksichtigt.

In der Schweizer Rechtsordnung verankerte Bestimmungen Seit der Ratifizierung im Jahr 1997 ist die KRK fester Bestandteil der Schweizer Rechtsordnung (SR 0.107), woran sich die Bedeutung dieses Rechtsinstruments ablesen lässt. Es erfordert folglich Gesetze, Institutionen und Dienstleistungen zur Verankerung der Rechte des Kindes, politische Massnahmen und Programme, die ermutigen und schützen, sowie eine zielgerichtete Verwaltungspraxis und vieles mehr. Einige Bestimmungen der KRK – grundsätzlich jene, die zivile und politische Rechte betreffen – sind ausreichend präzis und klar formuliert, um auf einen konkreten Sachverhalt angewendet zu werden und einer Behörde oder einem Gericht als Entscheidungsgrundlage zu dienen. Das heisst, sie sind direkt anwendbar. Viele Bestimmungen sind hingegen programmatischer Natur und lassen den Behörden bei der Konkretisierung und der Umsetzung in nationales Recht eine grosse Handlungsfreiheit, beispielsweise unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Ressourcen. Dies gilt insbesondere für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte. Gemäss dem UNO-Ausschuss für die Rechte des Kindes (der Ausschuss) ist jeder Vertragsstaat verpflichtet, zumindest die Verwirklichung des Kernbereichs jedes Rechtes zu gewährleisten. Die KRK wird durch drei Fakultativprotokolle ergänzt, die den Vertragsstaaten zur Ratifikation offen stehen: das Fakultativprotokoll betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten (von der Schweiz 2002 ratifiziert); das Fakultativ­protokoll betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornografie (2006 ratifiziert); das Fakultativprotokoll betreffend ein Mitteilungsverfahren (2017 ratifiziert). Dieses dritte Protokoll, das eine Verfahrensordnung enthält, wurde erst 2011 verabschiedet. Es ist besonders wichtig, weil es der KRK ihre volle Schlagkraft verleiht. Es führt einen internationalen Mechanismus ein, der es Kindern ermöglicht, beim Ausschuss eine Einzelbeschwerde wegen einer Verletzung ihrer Rechte vorzubringen, wenn alle innerstaatlichen Rechtsbehelfe erschöpft sind. Ein solches Verfahren mündet jedoch nicht in ein Urteil, sondern in Auffassungen (zusammen mit etwaigen Empfehlungen), die für den von der Beschwerde betroffenen Staat rechtlich nicht bindend sind.

Die Konvention verpflichtet die Vertragsstaaten, regelmässig (sprich alle fünf Jahre) einen Staatenbericht über die Situation der Kinder vorzulegen. Die Berichte müssen darlegen, ob und inwieweit die Situation der Kinder den Bestimmungen der KRK und ihren Protokollen entspricht, wie die Bestimmungen umgesetzt werden, welche Herausforderungen bestehen und welche Fortschritte erzielt wurden.

Rolle der NGO, des Ausschusses und des BSV 
Aufgrund der föderalistischen Staatsordnung der Schweiz sind hierzulande die Zuständigkeiten zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden aufgeteilt. Bei der Erstellung der Staatenberichte arbeitet die Bundesverwaltung eng mit den Kantonen, ausserparlamentarischen Kommissionen und Nichtregierungsorganisationen (NGO) zusammen.

Über das Netzwerk Kinderrechte Schweiz veröffent­lichen die NGO ihren eigenen kritischen Bericht (Schattenbericht) und werden vom Ausschuss angehört. Sie nehmen die Staaten­berichte und deren Prüfung zum Anlass, um eine breite nationale Debatte anzustossen, Druck auf die Regierung auszuüben, für Gesetzes- oder Praxisänderungen zu lobbyieren und umfassende Medienarbeit zu betreiben.

Der Ausschuss für die Rechte des Kindes besteht aus 18 unabhängigen Sachverständigen. Mit Philip Jaffé wurde 2018 zum zweiten Mal ein Schweizer in das Expertengremium gewählt, nach Jean Zermatten, der Vorsitzender des Ausschusses war. Der Ausschuss prüft den Bericht der Schweizer Regierung und den Gegenbericht der NGO, hört die Nichtregierungsorganisationen an, führt einen konstruktiven Dialog mit der Schweizer Delegation und veröffentlicht anschliessend seine Schlussbemerkungen, in denen die erzielten Fortschritte und die wichtigsten Bedenken dargelegt sowie Empfehlungen formuliert werden.

Die erste Beurteilung zur Umsetzung der KRK in der Schweiz fand 2002 statt. Die letzten Empfehlungen stammen aus dem Jahr 2015, als der Ausschuss zum zweiten Mal den Staatenbericht der Schweiz prüfte. Die Empfehlungen sind rechtlich nicht bindend, der Bund misst ihnen jedoch grosse Bedeutung bei.

Das BSV ist für die schweizweite Koordination der Umsetzung der KRK zuständig und sorgt für die Implementation der Empfehlungen aus dem Jahr 2015 und die Erstellung des nächsten, 2020 fälligen Staatenberichts. Im Rahmen des Follow-up-Verfahrens wurden die Empfehlungen analysiert und die Zuständigkeiten von Bund und Kantonen bestimmt. Ende 2018 verabschiedete der Bundesrat einen Bericht (Bundesrat 2018) über die Massnahmen zum Schliessen der Lücken bei der Umsetzung der KRK in der Schweiz (Hafner 2019).

Der nächste Staatenbericht der Schweiz wird nach einem vereinfachten Berichtsverfahren auf entsprechende Einladung des Ausschusses erstellt. Dieses neue und effizientere Verfahren wird als List of Issues Prior to Reporting bezeichnet. Der Ausschuss wird der Schweiz eine Liste mit Fragen zu den zentralen Themenbereichen zur Umsetzung der KRK zukommen lassen (voraussichtlich im Oktober 2019). Die Antworten auf diese Fragen werden im Mittelpunkt des nächsten Berichts stehen, der für Oktober 2020 erwartet wird.

30-jähriges Bestehen Zur Feier des 30-jährigen Bestehens der KRK plant der Ausschuss 2019 verschiedene Aktivitäten, insbesondere eine Ausstellung, die im September im Palais des Nations in Genf eröffnet wird. Darüber hinaus lädt der Ausschuss die Vertragsstaaten ein, Initiativen auf nationaler Ebene zu lancieren.

Die Schweiz organisiert im Rahmen des Jubiläums mehrere Veranstaltungen, von denen einige durch das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten unterstützt werden, namentlich eine internationale Konferenz, die vom 18. bis 20. November 2019 in Genf stattfindet. Am 27. März 2019 fand ein vom Netzwerk Kinderrechte Schweiz durchgeführtes Jubiläumssymposium zur Kinderrechtssituation in der Schweiz statt, an dem sich Vertreterinnen und Vertreter von Bund, Kantonen und Zivilgesellschaft über die Herausforderungen und aktuellen Chancen im Bereich der Kinderrechte austauschten.

Am 15. November 2019 lädt die Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren (SODK) Politikerinnen und Politiker, kantonale Verantwortliche der Kinder- und Jugendpolitik sowie Kinder aus den drei Sprachregionen zu einem Austausch über die Rechte des Kindes ein. Dieses Treffen ist für die Kinder eine Gelegenheit, soziale Partizipation zu erleben. Bundesrat Alain Berset hat seine Teilnahme bereits zugesagt. Am Treffen wird auch ein Kurzfilm gezeigt werden, der mit einigen der teilnehmenden Kinder gedreht wurde. Bei dieser Gelegenheit werden die Kinder den Politikerinnen und Politikern ihre Botschaften zu den Rechten des Kindes übermitteln. Diese Botschaften werden in den Kinder- und Jugendbericht einfliessen, den das Netzwerk Kinderrechte Schweiz gemeinsam mit den anderen NGO im Rahmen der Berichterstattung 2019–2020 an den Ausschuss erstellen wird.

Das Jubiläum ist eine gute Gelegenheit, eine Bestandsaufnahme der Fortschritte vorzunehmen, die dank der KRK weltweit für die Rechte der Kinder erzielt wurden. Gleichzeitig müssen die Herausforderungen erörtert werden, die es in der Schweiz und in der Welt noch zu bewältigen gilt, um im Rahmen einer nachhaltigen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Entwicklung eine Gesellschaft zum Wohle der Kinder von heute und morgen zu schaffen.

Schliesslich sei erwähnt, dass jedes Jahr am 20. November der «Internationale Tag der Kinderrechte» gefeiert wird, um an die Verabschiedung der Erklärung der Rechte des Kindes im Jahr 1959 und der KRK im Jahr 1989 zu erinnern.

  • Literatur
  • Hafner, Sibylle (2019): «Kinderrechtskonvention – Lücken in der Umsetzung schliessen», in Soziale Sicherheit CHSS 2/2019, S. 57–61.
  • Bundesrat (2018): Massnahmen zum Schliessen von Lücken bei der Umsetzung der Kinderrechtskonvention. Bericht des Bundesrates infolge der Empfehlungen des UN-Kinderrechtsausschusses an die Schweiz vom 4. Februar 2015: www.bsv.admin.ch > Sozialpolitische Themen > Kinder- und Jugendpolitik > Kinderrechte.
  • Soziale Sicherheit CHSS 4/2007: Schwerpunkt Kinderrechte, S. 173–205.
  • SR 0.107 Übereinkommen über die Rechte des Kindes (Abgeschlossen in New York am 20. November 1989; von der Bundesversammlung genehmigt am 13. Dezember 1996; Ratifikationsurkunde durch die Schweiz hinterlegt am 24. Februar 1997; in Kraft getreten für die Schweiz am 26. März 1997): www.admin.ch > Bundesrecht > Systematische Rechtssammlung.
  • Unicef (1989): Kinderrechtskonvention: www.unicef.ch > Über UNICEF > International > Kinderrechtskonvention > PDF.
Bereich Internationale Organisationen, ­Geschäftsfeld Internationale Angelegenheiten
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