Vorschriften für die Eröffnung von Betreuungseinrichtungen

Staatliche Überregulierung wird gerne und häufig als Ursache fehlender ­Betreuungsplätze­ genannt. Doch fehlte bis anhin eine Übersicht über die geltenden Vorschriften für die ­Eröffnung von Betreuungseinrichtungen. Erstmals liegt nun eine Bestandsaufnahme und Beurteilung der Regulierung vor.
Philipp Walker, Annick de Buman, Elvira Hänni
  |  08. Dezember 2016
    Forschung und Statistik
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Im Postulat Quadranti «Abbau von bürokratischen Hürden und Vorschriften bei der Kinderbetreuung im ausserfamiliären Bereich» vom September 20131 wurde der Bundesrat aufgefordert, die Bürokratie und Auflagen bei der Bewilligung von Plätzen für die familienergänzende Kinderbetreuung zu prüfen. Im Auftrag des Bundesamts für Sozialversicherungen wurden deshalb erstmals die Vorgaben untersucht, die auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene für die Eröffnung von Kindertagesstätten und Tagesstrukturen für Schulkinder gelten. Im Zentrum der Analyse standen die Bedingungen, die eine Betreuungseinrichtung bau(-polizei-)lich, aber auch beim Brandschutz, bei der Unfallverhütung, Hygiene und Lebensmittelsicherheit und beim Nachweis der Wirtschaftlichkeit erfüllen muss, bevor sie ihren Betrieb aufnehmen kann.

Für die Bestandsaufnahme wurde in einem ersten Schritt die bestehende Regulierung erfasst. Anschliessend wurden in den Kantonen Zürich, Luzern, Genf und Freiburg 14 teilstrukturierte Gespräche mit Betreibern kürzlich eröffneter Betreuungseinrichtungen durchgeführt, um ihre Erfahrungen mit den Regulierungsvorgaben zu dokumentieren und die Akzeptanz der Vorgaben zu beurteilen.

Brandschutz Auf Bundesebene verlangt zum einen die Verordnung über die Aufnahme von Pflegekindern (PAVO) die Erfüllung anerkannter Brandschutzvorgaben. Zum anderen gelten die Brandschutzvorschriften der Vereinigung kantonaler Feuerversicherungen (VKF). Betreuungseinrichtungen müssen die gleichen Anforderungen wie Schulen erfüllen, einzig für die Fluchtwege in Kindertagesstätten gelten spezielle Vorschriften (maximale Länge von 20 Metern; Erschliessung von Schlafräumen auf Zwischengeschossen sowie Galerien durch horizontale und vertikale Fluchtwege). Zudem gibt die Verordnung 4 zum Arbeitsgesetz (ArGV 4) eine Mindesttürbreite von 90 Zentimetern vor.

Da die Brandschutzvorschriften der VKF für alle Kantone verbindlich sind, beschränken sich kantonale und kommunale Auflagen meist auf die Präzisierung der nationalen Vorgaben. Überall muss die kantonale Gebäudeversicherung bei einem Neubau sowie in der Regel bei einer Umnutzung prüfen, ob die Brandschutzbestimmungen der VKF eingehalten werden. Auch für die Fluchtwege gelten die nationalen Vorgaben, wobei einige Kantone präzisieren, dass Fluchtwege und Notausgänge gut signalisiert sein müssen. Einige wenige Kantone machen bezüglich der Brandabschnittsbildung strengere Vorgaben als die VKF: So müssen in Zürich alle Schlafräume, die sich nicht auf dem Erdgeschoss befinden, einen eigenen Brandabschnitt bilden, dasselbe gilt im Kanton Aargau für alle drei- oder mehrgeschossigen Bauten. Daneben geben einige Kantone organisatorische und technische Massnahmen vor, z. B. einen sichtbaren und leicht zugänglichen Feuerlöscher oder eine automatische Brandmeldeanlage.

Trotz der detaillierten Vorgaben behindert der Brandschutz den Eröffnungsprozess einer Betreuungseinrichtung selten. Die Auflagen gewähren eine hohe Sicherheit und werden darum in der Regel als sinnvoll empfunden. In Einzelfällen führten der Einbau von Brandschutztüren und spezifische Anforderungen an die Fluchtwege zu Schwierigkeiten.

Unfallverhütung Die PAVO regelt die Unfallverhütung insofern, als sie eine Förderung der körperlichen und geistigen Entwicklung der Kinder sowie die Sicherstellung einer ärztlichen Überwachung vorschreibt. Ferner erlässt die Beratungsstelle für Unfallverhütung (bfu) Leitlinien für die Gestaltung einer gefahrenarmen, kindgerechten Umgebung, die aber nicht rechtsverbindlich sind.

Die baulichen Sicherheitsauflagen der Kantone und Gemeinden sind für Kindertagesstätten etwas umfassender als für schulische Tagesstrukturen. Die meisten Kantone verlangen den Nachweis eines Sicherheits- und Notfallkonzepts. Zudem spezifizieren sie bauliche und organisatorische Massnahmen, die sich im Detaillierungsgrad und Umfang stark unterscheiden. Während einige Kantone wie Obwalden, Tessin und Bern eher allgemein auf die Leitlinien der bfu verweisen, kennen andere Kantone wie Genf oder Waadt sehr detaillierte Regelungen, die wiederum auch nicht alle verbindlich sind.

Die Fallstudien zeigen, dass die Vorgaben zur Unfallverhütung in der Praxis selten zu Schwierigkeiten führen. Im Grossen und Ganzen werden sie als gut nachvollziehbar empfunden. Zudem fallen durch die Massnahmen selten hohe Kosten an. In Einzelfällen stellten verschiedene Ämter widersprüchliche Anforderungen oder die involvierten Bewilligungsinstanzen waren sich uneins, weil sie ihren Ermessensspielraum unterschiedlich interpretierten (beispielsweise unterschiedliche Anforderungen an die Ausgestaltung eines Treppengeländers oder eines Fensterschutzes).

Wohnhygiene und Lebensmittelsicherheit bzw. -hygiene Die PAVO verlangt eine gesunde und abwechslungsreiche Ernährung, zudem müssen die Einrichtungen den anerkannten Anforderungen an die Wohnhygiene entsprechen. Das Bundesgesetz über Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände spezifiziert die Anforderungen an die Lebensmittelhygiene und die Lebensmittelsicherheit. Folglich gelten für Kindertagesstätten und Tagesstrukturen für Schulkinder grundsätzlich die gleichen lebensmittelrechtlichen Vorschriften wie für alle anderen Betriebe, die mit Lebensmitteln arbeiten. Auch Einrichtungen, die das Mittagessen nicht selbst kochen, müssen die Anforderungen erfüllen, allerdings kommen einzelne Auflagen nicht zur Anwendung (z. B. Einhaltung der guten Herstellungspraxis). Kantonale Ergänzungen zur (Wohn-)Hygiene betreffen meistens den Betrieb der Betreuungseinrichtung und nicht die Eröffnungsphase. Einige Kantone kennen jedoch umfassende Ergänzungen, die bereits einen kleinen Aufwand vor der Eröffnung zur Folge haben können (z. B. Erstellen eines Reinigungsplanes).

Da der Bund bereits viel vorgibt, ist die Lebensmittelsicherheit und -hygiene in den Kantonen relativ einheitlich geregelt. Die Kantone halten sich entweder an die bundesrechtlichen Vorgaben oder präzisieren den bestehenden Spielraum, den sie bezüglich Kücheninfrastruktur haben. Ein Grossteil der Kantone verlangt, dass die Betreuungseinrichtungen ein Hygienekonzept bzw. eine Dokumentation zur Selbstkontrolle einreichen. Einige wenige Kantone gehen punktuell weiter, z. B. sieht der Kanton Bern die Möglichkeit vor, die Selbstkontrolle in Tagesstrukturen an die Speiseproduzenten zu delegieren. Vereinzelt werden die Anforderungen an die Lüftungen präzisiert.

Die Vorgaben zur (Wohn-)Hygiene und Lebensmittelsicherheit bzw. -hygiene geniessen bei den Befragten eine hohe Akzeptanz, unter anderen weil sie in der Regel nicht zu hohen Kosten führen. Eine Person merkte aber an, dass gerade die Vorgaben für die Kücheninfrastruktur kleine Einrichtungen belasten können. Eine Betreuungseinrichtung konnte aufgrund von Denkmalschutzauflagen die vorgeschriebene Lüftung für die Küche nicht übers Dach einbauen und sah sich deshalb gezwungen, ihr Essen bei einem Cateringservice zu bestellen.

Bau(-polizei) Für Betreuungseinrichtungen gelten grundsätzlich dieselben bau(-polizei)lichen Vorschriften wie für andere Bauvorhaben. Die PAVO schreibt vor, dass das Gesuch für eine Betriebsbewilligung Angaben zur Anordnung und Einrichtung der Wohn-, Unterrichts- und Freizeiträume enthalten muss. In vielen Kantonen kommen zudem die Normen des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins (SIA) zur Anwendung, dies insbesondere bei der Regelung des Schallschutzes, beim Bau von Geländern und Brüstungen sowie in Bezug auf die Barrierefreiheit. Mit Ausnahme der Brandschutzvorschriften der VKF unterscheiden sich die bau(-polizei)lichen Anforderungen der Kantone.

Alle Kantone verlangen eine Kopie der Bau- oder Umnutzungsbewilligung. Darüber hinaus beschreiben Basel-Landschaft und Solothurn, unter welchen Bedingungen Betreuungseinrichtungen als zonenkonform gelten. Da die PAVO nicht festhält, wie eine Betreuungseinrichtung auszustatten ist, gelten hierfür fast überall kantonale Auflagen: Meist sehr allgemein, wird eine bedürfnisgerechte, zweckdienliche und kindersichere Ausstattung verlangt. Für die Sanitäranlagen schreibt die Hygieneverordnung des Bundes vor, dass genügend Toiletten zur Verfügung stehen müssen; wobei die Kantone in eigener Kompetenz und damit unterschiedlich entscheiden, wie viele – und für welche Personengruppen separate – Toiletten einzurichten sind. Unklar ist, wie strikt die Vorgaben zu den Toiletten bei einer Umnutzung eines Gebäudes vollzogen werden, da der Einbau zusätzlicher Toilettenanlagen in ein bestehendes Gebäude kostenintensiv resp. nicht in jedem Fall machbar ist. Beim Lärmschutz machen nur die Kantone Luzern und Zürich höhere Auflagen. Beide verlangen einen guten Schallschutz nach innen und nach aussen. Das hindernisfreie Bauen ist vor allem bundesrechtlich geregelt. Aargau, Basel-Landschaft und Bern präzisieren marginal, was sie unter dem Begriff «hindernisfrei» verstehen. Gemäss dem Prinzip der Verhältnismässigkeit müssen die Vorgaben zum hindernisfreien Bauen bei bestehenden Gebäuden nicht in jedem Fall erfüllt werden. Einige Kantone verlangen einen Situationsplan und die Verwendung gesundheitsverträglicher Baustoffe.

Die Auswirkung der bau(-polizei)lichen Vorgaben auf den Eröffnungsprozess einer Betreuungseinrichtung hängt unter anderem von der Zweckmässigkeit der Räumlichkeiten ab. Gerade bei Neubauten lassen sich die Auflagen bereits bei der Bauplanung berücksichtigen. Im Gegensatz zu bestehenden Räumlichkeiten müssen Neubauten allerdings häufig strengere Vorschriften erfüllen, z. B. bei der Barrierefreiheit. Wie beim Brandschutz kann die bau(-polizei)liche Regulierung insbesondere bei der Umnutzung älterer Gebäude zu hohen Kosten führen.

Nachweis einer wirtschaftlichen Grundlage Gemäss PAVO darf der Betrieb einer Betreuungseinrichtung nur bewilligt werden, wenn die Initianten eine gesicherte wirtschaftliche Grundlage ausweisen. Die Bewilligungsinstanzen verlangen hierfür häufig eine Bedarfsanalyse, einen Budget- oder Finanzplan, Annahmen zur Auslastung, das Lohnreglement und einen Businessplan. Der zeitliche und finanzielle Aufwand für den Nachweis der wirtschaftlichen Grundlage halten sich in Grenzen. Probleme entstehen bei mangelhaftem Finanzwissen der Initianten. Die Gesprächspartner sind sich einig, dass eine sorgfältige Finanzplanung, ungeachtet allfälliger staatlicher Auflagen, eine zentrale Voraussetzung für die Gründung einer Einrichtung darstellt.

Fazit und Empfehlungen Die kantonalen Vorgaben, stützen sich meist stark auf Bundesrecht und geben dieses entweder materiell wieder oder präzisieren es. Sie werden mehrheitlich als sinnvoll und zweckmässig empfunden. Kostenrelevant sind insbesondere der Brandschutz und bau(-polizei)liche Weisungen. Zudem können der Einbau oder der Umbau einer Küche zu hohen Kosten führen. Letztlich zeigt sich, dass zur Eröffnung einer Einrichtung viel Wissen aus ganz unterschiedlichen Bereichen notwendig ist.

Probleme entstehen dort, wo die Richtlinien einen gewissen Ermessensspielraum zulassen. Der Vorteil behördlicher Entscheidungsbefugnis liegt darin, dass Situationen individuell angemessen beurteilt werden können. Der Nachteil liegt in der potenziell unterschiedlichen Auslegung eines Sachverhalts durch verschiedene Personen.

Aus der eingehenden Analyse des Regulierungsumfelds für die Eröffnung von Betreuungseinrichtungen lassen sich fünf Empfehlungen ableiten:

Anpassung der gesetzlichen Grundlagen nicht notwendig Es drängen sich keine Anpassungen der gesetzlichen Grundlagen auf. Die davon abgeleiteten Vorgaben lassen einen angemessenen Ermessensspielraum zu und sind weitgehend akzeptiert.

Leitfaden mit Good-Practice-­Beispielen Einige Kantone haben die wichtigsten Informationen für die Gründung einer Betreuungseinrichtung auf einer Homepage, in einem Ordner oder in der Form einer Checkliste mit Dokumentenvorlagen zusammengefasst. Wir empfehlen Kantonen, die noch nicht über entsprechende Hilfestellungen verfügen, deren Einführung zu prüfen. Auf nationaler Ebene können die Fachverbände Kibesuisse, PRo Enfance sowie Bildung + Betreuung Übersichtsdokumente erstellen. Alle Informationen wären mit Good-Practice-Beispielen zu ergänzen, die v. a. den Umgang mit persönlichem Ermessen beispielhaft aufzeigen.

Beratung bei der Suche nach Räumlichkeiten Je besser sich Liegenschaften und Räumlichkeiten für die Einrichtung einer Betreuungseinrichtung eignen, desto reibungsloser und kostengünstiger verläuft der Eröffnungsprozess. Um Interessierten allfällige Massnahmen und damit verbundene Kostenfolgen aufzuzeigen, empfiehlt sich eine vorgängige Prüfung der Räume durch die zuständige Behörde. Auch könnte eine Gemeinde den Initianten geeignete Lokalitäten vermieten und bei neuen Überbauungen entsprechende Räumlichkeiten fördern.

Kantonale und kommunale Starthilfebeiträge Auch wenn die Vorgaben weitgehend akzeptiert sind, können sie im Einzelfall zu hohen Investitionskosten führen. Die Kantone oder Gemeinden können diese im Rahmen einer finanziellen Starthilfe übernehmen oder mittragen, aber auch zinslose Darlehen gewähren.

Regelmässiger Informations- und Erfahrungsaustausch Die zuständigen Behörden sollten sich regelmässig austauschen. In mehreren Regulierungsbereichen bestehen bereits Strukturen, die für den fachspezifischen Austausch genutzt werden. Sie sind bestens geeignet, um darin auch die Unterschiede im Vollzug zu diskutieren. Dabei soll dieser nicht vereinheitlicht, jedoch kritisch hinterfragt und diskutiert werden. Ergänzend empfehlen wir den themenübergreifenden Austausch unter den verschiedenen Fachbehörden eines Kantons.

Master of Science in Economics, 
Senior Consultant Ecoplan.
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Master of Science in Psychology, Consultant Ecoplan AG (bis April 2018).
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MSc in Economics, Junior Consultant Ecoplan
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